Familientagebuch (1917-1922) von Gustav Braune (1870-1954), item 45

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 linke Seite 

Es wird fast gar nicht Tag, der Nebel

hängt förmlich bis auf die Erde herunter.

Wegen der einziehenden Truppen

ist die Stadt beflaggt, am Landgericht

hängt eine große rote Fahne, die 170 M

gekostet hat. Am Freitag hält das 24.

Inf. Reg., das von Sedan bis hieher

marschiert ist, seinen Einzug und

wird unter Glockengeläute von den

Behörden und Schulen empfangen. Am

nächsten Tag bekommen wir unangesagt

Einquartierung, einen Mann

namens Franz Bartenschlager aus

der Umgebung von Mindelheim.

Es ist erfreulich, daß er sich über seine

Offiziere nur lobend ausspricht,

während jetzt den Offizieren gewöhnlich

alle möglichen Schandtaten

angedichtet werden, namentlich

auch Diebstahl von Heeresgut. Allein

was hilft es, wenn die heimkehrenden

Frontsoldaten eine gute Gesinnung

zeigen; das Regiment wird hier aufgelöst

u. die Leute verkrümeln sich in

die Heimat, wo sie gegenüber den

Schreiern verschwinden. Leider zeigt sich

die Erklärung des Herrn Bartenschlager,

er sei "entlaust" als unrichtig, sodaß

auf Veranlassung der Hausfrau, die sich

darob auf der Kompaniekanzlei be=

 rechte Seite 

klagt, seine Entlassung in die Heimat schon

am Montag Abend erfolgt. Am Donnerstag

fährt Mutter mit dem 1. Zug nach

Würzburg u. holt viele Töpfe Eingemachtes.

Fast wäre ihr vor der Rückfahrt ein ernster

Unfall zugestoßen. Sie saß in einem

unrichtigen Zug u. wollte auf Veranlassung

eines Bahnbediensteten, dem

das gleiche Mißgeschick passiert war, in den

richtigen, gleich daneben stehenden Zug

überspringen, ohne ordnungsmäßig durch

den Tunnel zu gehen. Beim Hinuntersteigen

vom unteren Trittbrett auf das noch etwas

weit entfernte Geleise fällt sie, glücklicherweise

ohne weitere Verletzung auf

den schmutzigschwarzen Boden, sodaß die

Hände u. Kleider noch beim Nachhausekommen

die Spuren zeigen. Ihr zerbrechliches

Gepäck hatte sie gerade nicht in der Hand,

sonst wäre alles "hin" gewesen. Die

Reisenden sind wieder dicht aufeinander

gepfercht u. müssen großenteils zwischen

den Sitzenden stehen.

L. (15. - 21. Dezember) Sonntag Abend

mit den größeren 3 Kindern die Wehr

hinaus bis zum Altwasser des Mains.

Am 20. beginnen die Ferien. Sie sollen

wegen der großen Kohlenot bis 9. Jan.

dauern. Am 21. halte ich einen "Augenschein"

auf der Staatsstraße in Mainberg, wo vor

5 Jahren ein Mann mit einem Motorrad

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 linke Seite 

Es wird fast gar nicht Tag, der Nebel

hängt förmlich bis auf die Erde herunter.

Wegen der einziehenden Truppen

ist die Stadt beflaggt, am Landgericht

hängt eine große rote Fahne, die 170 M

gekostet hat. Am Freitag hält das 24.

Inf. Reg., das von Sedan bis hieher

marschiert ist, seinen Einzug und

wird unter Glockengeläute von den

Behörden und Schulen empfangen. Am

nächsten Tag bekommen wir unangesagt

Einquartierung, einen Mann

namens Franz Bartenschlager aus

der Umgebung von Mindelheim.

Es ist erfreulich, daß er sich über seine

Offiziere nur lobend ausspricht,

während jetzt den Offizieren gewöhnlich

alle möglichen Schandtaten

angedichtet werden, namentlich

auch Diebstahl von Heeresgut. Allein

was hilft es, wenn die heimkehrenden

Frontsoldaten eine gute Gesinnung

zeigen; das Regiment wird hier aufgelöst

u. die Leute verkrümeln sich in

die Heimat, wo sie gegenüber den

Schreiern verschwinden. Leider zeigt sich

die Erklärung des Herrn Bartenschlager,

er sei "entlaust" als unrichtig, sodaß

auf Veranlassung der Hausfrau, die sich

darob auf der Kompaniekanzlei be=

 rechte Seite 

klagt, seine Entlassung in die Heimat schon

am Montag Abend erfolgt. Am Donnerstag

fährt Mutter mit dem 1. Zug nach

Würzburg u. holt viele Töpfe Eingemachtes.

Fast wäre ihr vor der Rückfahrt ein ernster

Unfall zugestoßen. Sie saß in einem

unrichtigen Zug u. wollte auf Veranlassung

eines Bahnbediensteten, dem

das gleiche Mißgeschick passiert war, in den

richtigen, gleich daneben stehenden Zug

überspringen, ohne ordnungsmäßig durch

den Tunnel zu gehen. Beim Hinuntersteigen

vom unteren Trittbrett auf das noch etwas

weit entfernte Geleise fällt sie, glücklicherweise

ohne weitere Verletzung auf

den schmutzigschwarzen Boden, sodaß die

Hände u. Kleider noch beim Nachhausekommen

die Spuren zeigen. Ihr zerbrechliches

Gepäck hatte sie gerade nicht in der Hand,

sonst wäre alles "hin" gewesen. Die

Reisenden sind wieder dicht aufeinander

gepfercht u. müssen großenteils zwischen

den Sitzenden stehen.

L. (15. - 21. Dezember) Sonntag Abend

mit den größeren 3 Kindern die Wehr

hinaus bis zum Altwasser des Mains.

Am 20. beginnen die Ferien. Sie sollen

wegen der großen Kohlenot bis 9. Jan.

dauern. Am 21. halte ich einen "Augenschein"

auf der Staatsstraße in Mainberg, wo vor

5 Jahren ein Mann mit einem Motorrad


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  • October 12, 2017 15:38:11 Daniela Z

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    Es wird fast gar nicht Tag, der Nebel

    hängt förmlich bis auf die Erde herunter.

    Wegen der einziehenden Truppen

    ist die Stadt beflaggt, am Landgericht

    hängt eine große rote Fahne, die 170 M

    gekostet hat. Am Freitag hält das 24.

    Inf. Reg., das von Sedan bis hieher

    marschiert ist, seinen Einzug und

    wird unter Glockengeläute von den

    Behörden und Schulen empfangen. Am

    nächsten Tag bekommen wir unangesagt

    Einquartierung, einen Mann

    namens Franz Bartenschlager aus

    der Umgebung von Mindelheim.

    Es ist erfreulich, daß er sich über seine

    Offiziere nur lobend ausspricht,

    während jetzt den Offizieren gewöhnlich

    alle möglichen Schandtaten

    angedichtet werden, namentlich

    auch Diebstahl von Heeresgut. Allein

    was hilft es, wenn die heimkehrenden

    Frontsoldaten eine gute Gesinnung

    zeigen; das Regiment wird hier aufgelöst

    u. die Leute verkrümeln sich in

    die Heimat, wo sie gegenüber den

    Schreiern verschwinden. Leider zeigt sich

    die Erklärung des Herrn Bartenschlager,

    er sei "entlaust" als unrichtig, sodaß

    auf Veranlassung der Hausfrau, die sich

    darob auf der Kompaniekanzlei be=

     rechte Seite 

    klagt, seine Entlassung in die Heimat schon

    am Montag Abend erfolgt. Am Donnerstag

    fährt Mutter mit dem 1. Zug nach

    Würzburg u. holt viele Töpfe Eingemachtes.

    Fast wäre ihr vor der Rückfahrt ein ernster

    Unfall zugestoßen. Sie saß in einem

    unrichtigen Zug u. wollte auf Veranlassung

    eines Bahnbediensteten, dem

    das gleiche Mißgeschick passiert war, in den

    richtigen, gleich daneben stehenden Zug

    überspringen, ohne ordnungsmäßig durch

    den Tunnel zu gehen. Beim Hinuntersteigen

    vom unteren Trittbrett auf das noch etwas

    weit entfernte Geleise fällt sie, glücklicherweise

    ohne weitere Verletzung auf

    den schmutzigschwarzen Boden, sodaß die

    Hände u. Kleider noch beim Nachhausekommen

    die Spuren zeigen. Ihr zerbrechliches

    Gepäck hatte sie gerade nicht in der Hand,

    sonst wäre alles "hin" gewesen. Die

    Reisenden sind wieder dicht aufeinander

    gepfercht u. müssen großenteils zwischen

    den Sitzenden stehen.

    L. (15. - 21. Dezember) Sonntag Abend

    mit den größeren 3 Kindern die Wehr

    hinaus bis zum Altwasser des Mains.

    Am 20. beginnen die Ferien. Sie sollen

    wegen der großen Kohlenot bis 9. Jan.

    dauern. Am 21. halte ich einen "Augenschein"

    auf der Staatsstraße in Mainberg, wo vor

    5 Jahren ein Mann mit einem Motorrad

  • October 12, 2017 15:36:00 Daniela Z

     linke Seite 

    Es wird fast gar nicht Tag, der Nebel

    hängt förmlich bis auf die Erde herunter.

    Wegen der einziehenden Truppen

    ist die Stadt beflaggt, am Landgericht

    hängt eine große rote Fahne, die 170 M

    gekostet hat. Am Freitag hält das 24.

    Inf. Reg., das von Sedau bis hieher

    marschiert ist, seinen Einzug und

    wird unter Glockengeläute von den

    Behörden und Schulen empfangen. Am

    nächsten Tag bekommen wir unangesagt

    Einquartierung, einen Mann

    namens Franz Bartenschlager aus

    der Umgebung von Mindelheim.

    Es ist erfreulich, daß er sich über seine

    Offiziere nur lobend ausspricht,

    während jetzt den Offizieren gewöhnlich

    alle möglichen Schandtaten

    angedichtet werden, namentlich

    auch Diebstahl von Heeresgut. Allein

    was hilft es, wenn die heimkehrenden

    Frontsoldaten eine gute Gesinnung

    zeigen; das Regiment wird hier aufgelöst

    u. die Leute verkrümeln sich in

    die Heimat, wo sie gegenüber den

    Schreiern verschwinden. Leider zeigt sich

    die Erklärung des Herrn Bartenschlager,

    er sei "entlaust" als unrichtig, sodaß

    auf Veranlassung der Hausfrau, die sich

    darob auf der Kompaniekanzlei be=

     rechte Seite 

    klagt, seine Entlassung in die Heimat schon

    am Montag Abend erfolgt. Am Donnerstag

    fährt Mutter mit dem 1. Zug nach

    Würzburg u. holt viele Töpfe Eingemachtes.

    Fast wäre ihr vor der Rückfahrt ein ernster

    Unfall zugestoßen. Sie saß in einem

    unrichtigen Zug u. wollte auf Veranlassung

    eines Bahnbediensteten, dem

    das gleiche Mißgeschick passiert war, in den

    richtigen, gleich daneben stehenden Zug

    überspringen, ohne ordnungsmäßig durch

    den Tunnel zu gehen. Beim Hinuntersteigen

    vom unteren Trittbrett auf das noch etwas

    weit entfernte Geleise fällt sie, glücklicherweise

    ohne weitere Verletzung auf

    den schmutzigschwarzen Boden, sodaß die

    Hände u. Kleider noch beim Nachhausekommen

    die Spuren zeigen. Ihr zerbrechliches

    Gepäck hatte sie gerade nicht in der Hand,

    sonst wäre alles "hin" gewesen. Die

    Reisenden sind wieder dicht aufeinander

    gepfercht u. müssen großenteils zwischen

    den Sitzenden stehen.

    L. (15. - 21. Dezember) Sonntag Abend

    mit den größeren 3 Kindern die Wehr

    hinaus bis zum Altwasser des Mains.

    Am 20. beginnen die Ferien. Sie sollen

    wegen der großen Kohlenot bis 9. Jan.

    dauern. Am 21. holte ich meinen "Augenschein"

    auf der Staatsstraße in Mainberg, wo vor

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1948 / 23395
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Vera Braune
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http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


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