Tagebuchaufzeichnungen von Georg Luber (leicht veränd. Abschrift), item 6

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      10.

Zelte begeben wollten, kamen die Läuse über

uns, die nicht in geringem Maße hier vorhanden

waren. Diese nahmen in einigen Tagen

so überhand, daß wir uns nicht mehr zu

helfen wußten. Das machte den franz. Offiz.

Spaß wenn sich die Leute entlausten u. sie

machten photogr. Aufnahmen um im Kino

ihren vornehmeren Leuten zu zeigen, wie

die deutschen Soldaten verlaust wären. Ihre

Soldaten selbst machten sich nichts daraus, denn

sie waren selbst sehr damit geplagt. Um

nun unser Elend, das schon so unbeschreiblich

war, noch zu vergrößern, kam am 29. April

abends 10 Uhr ein deutscher Flieger u. warf

4 Bomben unter uns, welche von 60 Mann

das Leben forderten, über 100 schwer und noch

viele leicht verwundete. Von den schwer-

verwundeten starben noch viele in den nächsten

Tagen. Die Sanitäter mußten solange zusehen,

bis der Franzose langsam das nötige

Verbandzeug herbeischaffte. Das Elend dieses

Augenblicks war unbeschreiblich, die Bestürzung

der vielen tausend u. das Geschrei

herzzerreißend. Viele von den Toten konnten

nicht mehr erkannt werden, denn Erkennungs-

marke u. Schriftstücke besaß ja keiner

mehr. Solche blieben natürlich vermißt bis

auf den heutigen Tag. So vermehrte sich


      11.

unser Elend von Tag zu Tag u. wurde noch

größer, als in ungefähr 8 Tg. die Cholera

ausbrach. Dieselbe griff sehr schnell um sich

und forderte von vielen das Leben. Die nun

noch einigermaßen stehen konnten, mußten

um 4 Uhr morgens aufstehen, bekamen das

Essen für den ganzen Tag zugleich, das gleich

verzehrt werden mußte. Gleich darauf folgte

ein 3stündiger Marsch und dann schwere Arbeit

im Steinbruch bis abends 8 Uhr, wo sie Arm

in Arm wie wandelnte Leichen angeschwenkt

kamen, um nach 16 Std. nochmals 2 Eßlöffel

voll Bohnen zu verschlucken. Am andern

Morgen begann dasselbe von vorn und

ein halb wilder Franzose schlug mit einem

Stecken derart auf die Halbtoten ein, daß

sich jeder gern wieder zur Arbeit entschloß.

Ein Stck. Blech diente mir als Löffel u. Messer,

u. eine Blechbüchse als Eßtopf. Der Hunger

aber wurde so groß, daß mancher seine

beste Uhr, die er mit harter Mühe bisher

gerettet hatte, um ein Stückchen Brot hergab,

natürlich den Franzosen, die das ausnutzten

u. gute Geschäfte machten. Nebenbei machten

sie sich noch lustig über unser Elend und

sagten: Geht zu Eurem Kaiser u. laßt

Euch ein Stck. Brot geben; warum seid Ihr


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      10.

Zelte begeben wollten, kamen die Läuse über

uns, die nicht in geringem Maße hier vorhanden

waren. Diese nahmen in einigen Tagen

so überhand, daß wir uns nicht mehr zu

helfen wußten. Das machte den franz. Offiz.

Spaß wenn sich die Leute entlausten u. sie

machten photogr. Aufnahmen um im Kino

ihren vornehmeren Leuten zu zeigen, wie

die deutschen Soldaten verlaust wären. Ihre

Soldaten selbst machten sich nichts daraus, denn

sie waren selbst sehr damit geplagt. Um

nun unser Elend, das schon so unbeschreiblich

war, noch zu vergrößern, kam am 29. April

abends 10 Uhr ein deutscher Flieger u. warf

4 Bomben unter uns, welche von 60 Mann

das Leben forderten, über 100 schwer und noch

viele leicht verwundete. Von den schwer-

verwundeten starben noch viele in den nächsten

Tagen. Die Sanitäter mußten solange zusehen,

bis der Franzose langsam das nötige

Verbandzeug herbeischaffte. Das Elend dieses

Augenblicks war unbeschreiblich, die Bestürzung

der vielen tausend u. das Geschrei

herzzerreißend. Viele von den Toten konnten

nicht mehr erkannt werden, denn Erkennungs-

marke u. Schriftstücke besaß ja keiner

mehr. Solche blieben natürlich vermißt bis

auf den heutigen Tag. So vermehrte sich


      11.

unser Elend von Tag zu Tag u. wurde noch

größer, als in ungefähr 8 Tg. die Cholera

ausbrach. Dieselbe griff sehr schnell um sich

und forderte von vielen das Leben. Die nun

noch einigermaßen stehen konnten, mußten

um 4 Uhr morgens aufstehen, bekamen das

Essen für den ganzen Tag zugleich, das gleich

verzehrt werden mußte. Gleich darauf folgte

ein 3stündiger Marsch und dann schwere Arbeit

im Steinbruch bis abends 8 Uhr, wo sie Arm

in Arm wie wandelnte Leichen angeschwenkt

kamen, um nach 16 Std. nochmals 2 Eßlöffel

voll Bohnen zu verschlucken. Am andern

Morgen begann dasselbe von vorn und

ein halb wilder Franzose schlug mit einem

Stecken derart auf die Halbtoten ein, daß

sich jeder gern wieder zur Arbeit entschloß.

Ein Stck. Blech diente mir als Löffel u. Messer,

u. eine Blechbüchse als Eßtopf. Der Hunger

aber wurde so groß, daß mancher seine

beste Uhr, die er mit harter Mühe bisher

gerettet hatte, um ein Stückchen Brot hergab,

natürlich den Franzosen, die das ausnutzten

u. gute Geschäfte machten. Nebenbei machten

sie sich noch lustig über unser Elend und

sagten: Geht zu Eurem Kaiser u. laßt

Euch ein Stck. Brot geben; warum seid Ihr



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  • March 29, 2017 19:50:00 Rolf Kranz

          10.

    Zelte begeben wollten, kamen die Läuse über

    uns, die nicht in geringem Maße hier vorhanden

    waren. Diese nahmen in einigen Tagen

    so überhand, daß wir uns nicht mehr zu

    helfen wußten. Das machte den franz. Offiz.

    Spaß wenn sich die Leute entlausten u. sie

    machten photogr. Aufnahmen um im Kino

    ihren vornehmeren Leuten zu zeigen, wie

    die deutschen Soldaten verlaust wären. Ihre

    Soldaten selbst machten sich nichts daraus, denn

    sie waren selbst sehr damit geplagt. Um

    nun unser Elend, das schon so unbeschreiblich

    war, noch zu vergrößern, kam am 29. April

    abends 10 Uhr ein deutscher Flieger u. warf

    4 Bomben unter uns, welche von 60 Mann

    das Leben forderten, über 100 schwer und noch

    viele leicht verwundete. Von den schwer-

    verwundeten starben noch viele in den nächsten

    Tagen. Die Sanitäter mußten solange zusehen,

    bis der Franzose langsam das nötige

    Verbandzeug herbeischaffte. Das Elend dieses

    Augenblicks war unbeschreiblich, die Bestürzung

    der vielen tausend u. das Geschrei

    herzzerreißend. Viele von den Toten konnten

    nicht mehr erkannt werden, denn Erkennungs-

    marke u. Schriftstücke besaß ja keiner

    mehr. Solche blieben natürlich vermißt bis

    auf den heutigen Tag. So vermehrte sich


          11.

    unser Elend von Tag zu Tag u. wurde noch

    größer, als in ungefähr 8 Tg. die Cholera

    ausbrach. Dieselbe griff sehr schnell um sich

    und forderte von vielen das Leben. Die nun

    noch einigermaßen stehen konnten, mußten

    um 4 Uhr morgens aufstehen, bekamen das

    Essen für den ganzen Tag zugleich, das gleich

    verzehrt werden mußte. Gleich darauf folgte

    ein 3stündiger Marsch und dann schwere Arbeit

    im Steinbruch bis abends 8 Uhr, wo sie Arm

    in Arm wie wandelnte Leichen angeschwenkt

    kamen, um nach 16 Std. nochmals 2 Eßlöffel

    voll Bohnen zu verschlucken. Am andern

    Morgen begann dasselbe von vorn und

    ein halb wilder Franzose schlug mit einem

    Stecken derart auf die Halbtoten ein, daß

    sich jeder gern wieder zur Arbeit entschloß.

    Ein Stck. Blech diente mir als Löffel u. Messer,

    u. eine Blechbüchse als Eßtopf. Der Hunger

    aber wurde so groß, daß mancher seine

    beste Uhr, die er mit harter Mühe bisher

    gerettet hatte, um ein Stückchen Brot hergab,

    natürlich den Franzosen, die das ausnutzten

    u. gute Geschäfte machten. Nebenbei machten

    sie sich noch lustig über unser Elend und

    sagten: Geht zu Eurem Kaiser u. laßt

    Euch ein Stck. Brot geben; warum seid Ihr


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    Contributor
    Werner Luber
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    http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


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