Zeitungen aus der Kriegszeit 1914, item 11
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item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vorgehen
nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oesterreich-Ungarn
weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des österreichischen
Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territorialen
Eroberungen auf Kosten Serbiens beabsichtige.
Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auf
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mitteilung
der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freundschaftlicher
Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verantwortung
für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich entsende
heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen beschlossen
worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Botschafter
in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Antwort
auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht gewesen,
sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu übernehmen,
als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mobilisation
seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutschlands
begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Gefahr.
Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und betrachtet
sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
Botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Generalsuniform
das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichstagsabgeordneten,
die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubelrufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, insofern
er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unterhalts
nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und geschiedenen
Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeordnete
Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird daher
der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Erklärung
des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutralität
zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neutralität
verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflichtende
Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von französischen
Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu ermächtigen,
Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförderung
von Post, Passagieren und Frachten nach Südamerika
und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Repräsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde eingestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammenziehung
der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Bevölkerung
in unsere militärische Organisation ist glänzend gerechtfertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Gestellungsorder
gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ordnung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen Anknüpfungen
an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders lebhaft
wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten Anspielungen
auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspielhaus
feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
-Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die temperamentvolle
Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donnerstag
abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung
einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Beschaffung
von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
_______________________
Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zugunsten
einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Entwürfe an.
Stockholm, 4. August. Die schwedische Regierung hat Schwedens
absolute Neutralität während der gegenwärtigen
Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
Berliner Produktenbörse.
siehe oben
Witterungsbeobachtungen in Berlin. 4. August 1914.
Luftdruck Temp. Windrichtung Bewölk. Luft-
August in 55 m Cels. und 0-10 feuchtigkeit
Seehöhe Stärke 0-12 in %
3. 9 Uhr abends 755,1 20,8 O 1 6 56
4. 7 Uhr vorm. 751,2 16,8 O 2 9 79
4. 2 Uhr nachm. 750,5 17,7 W 3 9 88
3. August: Höchste Temperatur 24,4° C. Niedrigste Temperatur 17,6° C.
Tagesmittel 20,6° C. Normales Tagesmittel 18,4° C.
Morgen voraussichtliches Wetter in Berlin und Umgegend.
Ein wenig kühler, veränderlich, vielfach wolkig mit Regenfällen und
ziemlich frischen südwestlichen Winden.
Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. In Nordwest- und
Mitteldeutschland sehr windig und vielfach starke, im Osten und Süden
schwächere Regenfälle, strichweise Gewitter.
Wetter in Deutschland. Unter dem Einflusse eines bei Schottland
gelegenen tiefen barometrischen Minimums, das sein Gebiet auf ganz
Nordwest-und Mitteleuropa ausgedehnt zu haben scheint, herrscht jetzt im
größten Teile Deutschlands trübes Wetter. Im Nordwesten und Süden
haben seit gestern nachmittag wieder vielfach Regenfälle stattgefunden, die
am Morgen bei mäßigen südwestlichen Winden fortdauern. Auch im mittleren
Norddeutschland ist nach vorübergehender Aufheiterung in der Nacht
neuerdings Regen eingetreten. Nur im Nordosten, bis etwa zur Oder
hin, ist das Wetter in den letzen 24 Stunden größtenteils trocken und
teilweise heiter geblieben. Die Temperaturen sind in Ostpreußen und
Oberbayern etwas gestiegen, sonst meist ein wenig gesunken.
Sonnenaufgang 4 Uhr 32 Min. Mondaufgang 8 Uhr - Min abds.
Sonnenuntergang 7 Uhr 51 Min. Monduntergang 3 Uhr 10 Min. nachts.
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Impressum siehe item 7
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item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vorgehen
nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oesterreich-Ungarn
weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des österreichischen
Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territorialen
Eroberungen auf Kosten Serbiens beabsichtige.
Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auf
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mitteilung
der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freundschaftlicher
Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verantwortung
für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich entsende
heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen beschlossen
worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Botschafter
in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Antwort
auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht gewesen,
sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu übernehmen,
als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mobilisation
seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutschlands
begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Gefahr.
Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und betrachtet
sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
Botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
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2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donners-
tag abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Be-
schaffung von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
_______________________
Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zu-
gunsten einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Ent-
würfe an.
Stockholm, 4. August. Die schwedische Regierung hat Schwe-
dens absolute Neutralität während der gegenwärtigen
Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
Berliner Produktenbörse.
siehe oben
Witterungsbeobachtungen in Berlin. 4. August 1914.
Luftdruck Temp. Windrichtung Bewölk. Luft-
August in 55 m Cels. und 0-10 feuchtigkeit
Seehöhe Stärke 0-12 in %
3. 9 Uhr abends 755,1 20,8 O 1 6 56
4. 7 Uhr vorm. 751,2 16,8 O 2 9 79
4. 2 Uhr nachm. 750,5 17,7 W 3 9 88
3. August: Höchste Temperatur 24,4° C. Niedrigste Temperatur 17,6° C.
Tagesmittel 20,6° C. Normales Tagesmittel 18,4° C.
Morgen voraussichtliches Wetter in Berlin und Umgegend.
Ein wenig kühler, veränderlich, vielfach wolkig mit Regenfällen und
ziemlich frischen südwestlichen Winden.
Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. In Nordwest- und
Mitteldeutschland sehr windig und vielfach starke, im Osten und Süden
schwächere Regenfälle, strichweise Gewitter.
Wetter in Deutschland. Unter dem Einflusse eines bei Schottland
gelegenen tiefen barometrischen Minimums, das sein Gebiet auf ganz
Nordwest-und Mitteleuropa ausgedehnt zu haben scheint, herrscht jetzt im
größten Teile Deutschlands trübes Wetter. Im Nordwesten und Süden
haben seit gestern nachmittag wieder vielfach Regenfälle stattgefunden, die
am Morgen bei mäßigen südwestlichen Winden fortdauern. Auch im mitt-
leren Norddeutschland ist nach vorübergehender Aufheiterung in der Nacht
neuerdings Regen eingetreten. Nur im Nordosten, bis etwa zur Oder
hin, ist das Wetter in den letzen 24 Stunden größtenteils trocken und
teilweise heiter geblieben. Die Temperaturen sind in Ostpreußen und
Oberbayern etwas gestiegen, sonst meist ein wenig gesunken.
Sonnenaufgang 4 Uhr 32 Min. Mondaufgang 8 Uhr - Min abds.
Sonnenuntergang 7 Uhr 51 Min. Monduntergang 3 Uhr 10 Min. nachts.
_____________________________
Impressum siehe item 7
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
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Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donners-
tag abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Be-
schaffung von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
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Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zu-
gunsten einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Ent-
würfe an.
Stockholm, 4. August. Die schwedische Regierung hat Schwe-
dens absolute Neutralität während der gegenwärtigen
Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
Berliner Produktenbörse.
siehe oben
Witterungsbeobachtungen in Berlin. 4. August 1914.
Luftdruck Temp. Windrichtung Bewölk. Luft-
August in 55 m Cels. und 0-10 feuchtigkeit
Seehöhe Stärke 0-12 in %
3. 9 Uhr abends 755,1 20,8 O 1 6 56
4. 7 Uhr vorm. 751,2 16,8 O 2 9 79
4. 2 Uhr nachm. 750,5 17,7 W 3 9 88
3. August: Höchste Temperatur 24,4° C. Niedrigste Temperatur 17,6° C.
Tagesmittel 20,6° C. Normales Tagesmittel 18,4° C.
Morgen voraussichtliches Wetter in Berlin und Umgegend.
Ein wenig kühler, veränderlich, vielfach wolkig mit Regenfällen und
ziemlich frischen südwestlichen Winden.
Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. In Nordwest- und
Mitteldeutschland sehr windig und vielfach starke, im Osten und Süden
schwächere Regenfälle, strichweise Gewitter.
Wetter in Deutschland. Unter dem Einflusse eines bei Schottland
gelegenen tiefen barometrischen Minimums, das sein Gebiet auf ganz
Nordwest-und Mitteleuropa ausgedehnt zu haben scheint, herrscht jetzt im
größten Teile Deutschlands trübes Wetter. Im Nordwesten und Süden
haben seit gestern nachmittag wieder vielfach Regenfälle stattgefunden, die
am Morgen bei mäßigen südwestlichen Winden fortdauern. Auch im mitt-
leren Norddeutschland ist nach vorübergehender Aufheiterung in der Nacht
neuerdings Regen eingetreten. Nur im Nordosten, bis etwa zur Oder
hin, ist das Wetter in den letzen 24 Stunden größtenteils trocken und
teilweise heiter geblieben. Die Temperaturen sind in Ostpreußen und
Oberbayern etwas gestiegen, sonst meist ein wenig gesunken.
Sonnenaufgang 4 Uhr 32 Min. Mondaufgang 8 Uhr - Min abds.
Sonnenuntergang 7 Uhr 51 Min. Monduntergang 3 Uhr 10 Min. nachts.
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Impressum siehe item 7
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donners-
tag abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Be-
schaffung von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
_______________________
Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zu-
gunsten einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Ent-
würfe an.
Stockholm, 4. August. Die schwedische Regierung hat Schwe-
dens absolute Neutralität während der gegenwärtigen
Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
Berliner Produktenbörse.
siehe oben
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donners-
tag abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Be-
schaffung von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
_______________________
Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zu-
gunsten einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Ent-
würfe an.
Stockholm, 4. August. Die schwedische Regierung hat Schwe-
dens absolute Neutralität während der gegenwärtigen
Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
_____________________
Außerordentliche Stadtverordnetenversammlung in
Berlin. Stadtverordnetenvorsteher Michelet hat zu Donners-
tag abend eine außerordentliche Sitzung der Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung einberufen, um zu der Vorlage des Magistrats
über die Bewilligung von 6 Millionen Mark zur Be-
schaffung von Mehl, Brot und anderen Nahrungsmitteln
Stellung zu nehmen.
_______________________
Bergedorf, 4. August. Magistrat und Bürgervertretung haben
gestern abend in dringender Sitzung vorläufig 100 000 Mark zu-
gunsten einer Hilfsaktion für Angehörige von Kriegsteilnehmern
bewilligt.
Haag, 4. August. Die zweite Kammer nahm ohne Debatte
alle auf den Krieg bezüglichen dringlichen Ent-
würfe an.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
Nottrauung des Prinzen Adalbert.
Gleichzeitig mit der Nottrauung des Prinzen Oskar und der Gräfin
Bassewitz wurden am vergangenen Freitag die Verlobung des Prinzen
Adalbert mit der Prinzessin Adelheid von Meiningen
bekannt gegeben. Der Brautstand des prinzlichen Paares fiel in eine
vom ehernen Schritt weltbewegender Ereignisse erfüllte Zeit, und er
hat eine kurze Weile gewährt. Gestern fand, wie uns ein Telegramm
aus Wilhelmshaven meldet, in aller Stille die Nottrauung der
Verlobten statt.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegangenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
Besondere Hervorhebung verdient die Stimmung unter
den Einberufenen. Voller Hingabe und Begeisterung, aber
auch von dem Ernst der Stunde durchdrungen sind alle der Ge-
stellungsorder gefolgt. Das deutsche Volk darf die Zuversicht hegen,
daß auch die weiteren militärischen Maßnahmen in gleicher Ord-
nung und Planmäßigkeit ausgeführt werden.
_______________________
Theater.
"Wie einst im Mai" zum 300. Male. Eine Rekordzahl von
Aufführungen hat die Posse "Wie einst im Mai" im Berliner Theater
mit der dreihundertsten Aufführung erreicht, und wie beim ersten
Male erfreute sie das Publikum nicht allein durch eine unvermindert
frische Wiedergabe, sondern das alte Berlin und die vielen An-
knüpfungen an die historischen Ereignisse Berlins begegneten gerade
in diesen denkwürdigen Tagen doppeltem Interesse. Besonders leb-
haft wurden selbstverständlich die von den Autoren damals noch
nicht vorgesehenen, von den Darstellern geschickt extemporierten An-
spielungen auf die Biederkeit unserer russischen feindlichen Nachbarn
aufgenommen.
250. Jubiläum der "Spanischen Fliege". Im Lustspiel-
haus feierte der lustige Schwank "Die spanische Fliege" von Bach-
Arnold bereits das Jubiläum der 250. Aufführung. Die tempera-
mentvolle Darstellung brachte das Stück zur besten Wirkung, so daß
es auch weiterhin seine Zugkraft auf das Publikum bewähren dürfte,
wenn es einmal für einige Stunden den Ernst der Zeiten vergessen
will.
________________________
Letzte Post
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
Amerika macht sein Geschäft.
Washington, 4. August.
Der Senat hat den Beschluß gefaßt, den Marinesekretär zu er-
mächtigen, Schiffahrtslinien zu errichten zur Beförde-
rung von Post, Passagieren und Frachten nach Süd-
amerika und Europa. Der Gesetzentwurf geht an das Re-
präsentantenhaus.
Die letzte Fähre Gedser - Warnemünde.
Kopenhagen, 4. August.
Der gestern vormittag 11 Uhr von Kopenhagen abgegangene Zug
ist der letzte Zug, der nach Warnemünde übergeführt wird.
Die Fähre geht darauf sofort nach Gedser zurück. Hiermit werden
die Fahrten zwischen Gedser und Warnemünde ein-
gestellt.
Alles geht wie am Schnürchen.
Nach den bei den militärischen Zentralbehörden eingegngenen
amtlichen Nachrichten ist die Mobilmachung unseres
Heeres und unserer Flotte bisher ganz vorzüglich
verlaufen. Alles ging wie am Schnürchen. Die Zuusammen-
ziehung der Einberufenen, ihre Beförderung an die angewiesenen
Plätze, kurz alles hat tadellos geklappt. Das Vertrauen der Be-
völkerung in unsere militärische Organisation ist glänzend gerecht-
fertigt.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
Deutschland respektiert Hollands Neutralität.
Haag, 4. August. Der deutsche Gesandte hat die positive
Versicherung abgegeben, Deutschland werde an die
Niederlande kein Ultimatum stellen und die niederländische
Neutralität respektieren, vorausgesetzt, daß diese von
den Niederlanden auf das Genaueste beobachtet
würde. (Die Holländer werden also vor allem dafür zu sorgen
haben, daß das Ueberfliegen ihres Staatsgebietes von fran-
zösischen Luftfahrzeugen aufhört. D. Red.)
Wien, 4. August. Die amerikanische Botschaft in
Wien übernahm den Schutz der französischen Untertanen,
die spanische Botschaft in Wien den Schutz der russischen
Untertanen.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
Englands Bedingungen.
Keine Verletzung der Neutralität Belgiens!
London, 4. August.
Im Verlaufe seiner gestrigen Rede sagte Sir Edward
Grey: Er höre, daß, wenn England sich zur Neu-
tralität verpflichte, Deutschland bereit sei, die
Nordküste Frankreichs nicht anzugreifen.
Dies sei eine zu eng begrenzte Verpflichtung. Die Frage
der Neutralität Belgiens werde jede Minute
wichtiger. Deutschland könne seine verpflich-
tende Zusicherung in bezug auf die Neutralität
Belgiens abgeben, da es dadurch seinen Feldzugsplan
enthüllen würde. Wenn aber die Neutralität Belgiens
verletzt werde, so sei die Situation klar. Grey
sagte dann, die englische Flotte und das Heer seien in der
Mobilisierung begriffen, aber es sei keine Verpflich-
tung eingegangen worden, ein Expeditionskorps
zu entsenden.
Ein weiteres Telegramm besagt: Greys Rede war sehr lang.
Grey sprach sich nicht direkt gegen die Neutralität
Englands aus und hielt sich alle Möglichkeiten offen.
Ueber die weiteren Ausführungen Greys ist infolge der Einschränkung
des telegraphischen Verkehrs nichts bekannt geworden.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
Diese Erklärung muß wohl so aufgefaßt werden, als ob
Italien unter allen Umständen neutral bleiben wird. Die
politische Bedeutung dieser Haltung, die doch wohl mit den
Verträgen zu vereinbaren sein dürfte, läßt sich noch nicht
übersehen.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
Italien bleibt neutral.
Einberufung einzelner Jahresklassen.
Rom, 4. August.
Die offiziöse Agenzia Stefani veröffentlicht eine Er-
klärung des Ministerrats, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte Europas sich im Kriegszustand
befinden, Italien aber sich im Zustande des
Friedens mit allen Kriegführenden befinde,
die -regierung, sowohl wie die Bürger und die Untertanen
des Königs verpflichtet seien, die Pflichten der Neutra-
lität zu beobachten.
Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der
ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und
1890 der Armee für den 8. August und der Jahrgänge
1889 und 1890 der Mannschaften der königlichen Marine
an. Außerdem werden unter die Fahnen gerufen
sieben Jahrgänge Unteroffiziere, und zwar
Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine
sowie das ganze kriegsdienstpflichtige Personal.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
Ein deutscher Reichstagsabgeordneter in Rußland.
Wie verlautet, befindet sich der fortschrittliche Reichstagsabgeord-
nete Dr. Ablaß auf einer Reise in Rußland. Er wird da-
her der Eröffnung des Reichstages nicht beiwohnen können und, da
Eisenbahnverbindungen mit Deutschland nicht mehr bestehen, auf
Umwegen nach Deutschland zurückzukehren versuchen müssen.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
Der Entwurf über die Familienunterstützung
der Kriegsteilnehmer.
§ 1. In dem Gesetz betreffend die Unterstützung von Familien in
den Dienst eingetretener Mannschaften vom 28. Februar 1888 erhält:
1. § 1 Satz 2 folgende Fassung: Das gleiche gilt bezüglich der
Familien derjenigen Mannschaften, welche zur Disposition der
Truppen- (Marine-) Teile beurlaubt sind, derjenigen Mannschaften,
welche das wehrpflichtige Alter überschritten haben und freiwillig in
den Dienst eintreten, sowie des Unterpersonals der freiwilligen
Krankenpflege.
2. § 2 Abs. 1 folgenden Zusatz: c) dessen uneheliche Kinder, inso-
fern er als Vater seiner Verpflichtung zur Gewährung des Unter-
halts nachgekommen ist.
3. § 2 Abs. 3 folgende Fassung: Entfernteren Verwandten und ge-
schiedenen Ehefrauen steht ein solcher Unterstützungsanspruch nicht zu.
4. § 5 Abs. 1 folgende Fassung: "Die Unterstützungen
sollen mindestens betragen:
a) für die Ehefrau im Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober
monatlich neun Mark, in den übrigen Monaten 12 Mark,
b) für jedes Kind unter 15 Jahren sowie für jede der im § 2 unter
b und c bezeichneten Personen monatlich sechs Mark."
§ 2. Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
Hierauf erklärte der Reichskanzler auf Befehl des Kaisers den
Reichstag für eröffnet. Das zweite Hoch auf den Kaiser brachte der
bayerische Bundesbevollmächtigte Graf Lerchenfeld aus.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
Als der Kaiser im Saale erschien, brachte der Reichstagspräsident
Dr. Kaempf ein Hoch auf den Kaiser aus, das dreimal mächtig im
Saale wiederhallte. Dem Kaiser folgten der Kronprinz und die Prinzen.
Die Rede des Kaisers wurde wiederholt von Beifall unterbrochen.
Die schwungvolle Ansprache des Kaisers wurde von den Reichs-
tagsabgeordneten, die bis auf die Sozialdemokraten nahezu vollzählig
anwesend waren, mit feierlicher Ergriffenheit entgegengenommen. Als
der Kaiser an seine Rede die improvisierten Worte knüpfte und den
Parteiführern die Hand reichte, ertönten stürmische Hochs und Jubel-
rufe.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
2. Spalte
Zur Reichstagseröffnung.
Kurz vor 12 Uhr läuteten die Glocken des Doms den Gottesdienst
ein, der der Reichstagseröffnung voranging. Von der
Schloßbrückenecke aus sah man den Kaiser und die Kaiserin mit
Gefolge zum Dom gehen. Der Kaiser trug über der feldgrauen Ge-
neralsuniform das Band des Schwarzen Adlerordens.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort des Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
_____________________________
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
Seine Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im
Namen des Reiches die Herausforderung an und be-
trachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich.
Bitte um Eingang und Zeitpunkt der Ausführungen dieser
Instruktion nach russische Zeit dringend drahten.
Bitte Ihre Pässe fordern und Schutz und Geschäfte amerikanischer
botschaft übergeben."
Die geforderte dringende Antwort xdes Botschafters ist nicht ein-
getroffen. Auch ein Kapitel, das noch aufzuklären sein wird.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
Die Kaiserliche Regierung ist seit Beginn der Krise bemüht ge-
wesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. Entsprechend
einem ausdrücklichen Wunsch Sr. Majestät des Kaisers von Rußland
hat Seine Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit
Großbritannien angelegen sein lassen, die Vermittlerrolle
zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg zu über-
nehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mo-
bilisation seiner gesamten Macht zu Lande und zu
Wasser schritt.
Infolge dieser, durch keinerlei militärische Vorkehrungen Deutsch-
lands begründeten bedrohlichen Maßnahme befand sich das Deutsche
Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Ge-
fahr, Falls die Kaiserliche Regierung es unterlassen hätte, zu dieser
gefährlichen Lage Stellung zu nehmen, so hätte sie die Sicherheit
und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt.
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung
Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten
militärischen Maßnahmen zu bestehen. Indem Rußland sich geweigert
hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und indem es dadurch dargetan
hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, habe ich die
Ehre, im Auftrage meiner Regierung Euerer Exzellenz von
Nachstehendem in Kenntnis zu setzen:
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
Die Kriegserklärung an Rußland.
Den Beschluß des Weißbuchs bildet ein Telegramm des
Reichskanzlers an den deutschen Gesandten in
Petersburg vom 1. August folgenden Inhalts:
"Falls die russische Regierung keine befriedigende Ant-
wort auf unsere Forderung erteilt, so wollen Euere Exzellenz Ihr
heute nachmittag 5 Uhr (mitteleuropäische Zeit)
folgende Erklärung überreichen:
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
V. Der Zar an den Kaiser. Gründn
Peterhof, 30. Juli 1914, 1,20 nachm.
Ich danke Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich ent-
sende heute abend Tatisheff mit Instruktionen. Die jetzt in Kraft
tretenden militärischen Maßnahmen sind schon vor fünf Tagen be-
schlossen worden, und zwar aus Gründen der Verteidigung gegen
die Vorbereitungen Oesterreichs. Ich hoffe, von ganzem Herzen,
daß diese Maßnahmen in keiner Weise Deine
Stellung als Vermittler beeinflussen werden, die
ich sehr hoch anschlage. Wir brauchen Deinen starken
Druck auf Oesterreich, damit es zu einer Verständigung mit
uns kommt.
gez. Nikolaus.
*
Es folgt nun eine Reihe interessanter Dokumente, von denen
ein vertrauliches Rundschreiben des Reichkanzlers an
die Bundesregierungen, die Instruktionen für den deutschen Bot-
schafter in Paris und dessen lakonisches Antworttelegramm
vom 1. August, 1 Uhr 5 Minuten nachmittags, genannt seien. Die
inhaltsschwere Depesche, die den
Krieg mit Frankreich
im Gefolge gehabt hat, lautet:
Auf meine wiederholte bestimmte Frage, ob Frankreich
im Falle eines deutsch-russischen Krieges
neutral bleibe, erklärte der Ministerpräsident mir, daß
Frankreich das tun werde, was seine Interessen im
geböten.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm.
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus.
III. Der Kaiser an den Zaren.
29. Juli, 6.30 nachm.
Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch
nach Erhaltung des Friedens. Jedoch kann ich - wie ich Dir
in meinem ersten Telegramm sagte - Oesterreich-Ungarns Vor-
gehen nicht als "schmählichen Krieg" betrachten. Oester-
reich-Ungarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen,
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind.
Meiner Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein
Versuch zu betrachten, volle Garantie zu erhalten, daß
Serbiens Versprechungen auch wirklich in die Tat umgesetzt werden.
In dieser Hinsicht werde ich bestärkt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine territo-
rialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beab-
sichtige. Ich meine daher, daß es für Rußland durchaus
möglich ist, dem österreichisch-serbischen Krieg gegenüber in der
Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa in den
schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die
- wie ich Dir schon telegraphierte, - meine Regierung
mit allen Kräften zu fördern bemüht ist. Natürlich
würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden
auch meine Stellung als Vermittler, die ich - auft-
wortung für Krieg und Frieden zu trgen.
Deinen Appell an meine Freundschaft und Hilfe - bereitwillig
angenommen habe, untergraben.
gez. Wilhelm.
IV. Der Kaiser an den Zaren.
Mein Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Ge-
fahren und schweren Konsequenzen einer Mobili-
sation hinzuweisen; das gleiche habe ich Dir in meinem letzten
Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Ser-
bien mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn
Rußland, wie es jetzt nach Deiner und Deiner Regierung Mit-
teilung der Fall ist, gegen Oesterreich-Ungarn mobil macht, so wird
die Vermittlerrolle, mit der Du mich in freund-
schaftlicher Weise betrautest, und die ich auf Deine
ausdrückliche Bitte angenommen habe, gefährdet,
wenn nicht unmöglich gemacht. Die ganze Schwere der
Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie haben die Verant-
wortung für Krieg und Frieden zu tragen.
gez. Wilhelm.
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
Krieg sein würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen
unserer alten Freundschaft, alles Dir mögliche zu
tun, um Deinem Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu
weit zu gehen.
gez. Nikolaus
-
item 11
lichen Freundschaft, die uns beide fest seit langer
Zeit mit festem Band verbindet, setze ich daher
meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung
mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du mich
in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen
können, zu beseitigen, unterstützen wirst.
Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter
gez. Wilhelm
II. Der Zar an den Kaiser.
Peterhof, Palais 29. Juli, 1 Uhr nachm.
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist.
In diesem so ernsten Augenblick bitte ich Dich inständig,
mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an ein schwaches
Land erklärt worden; die Entrüstung hierüber, die ich völlig teile,
ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr
werde widerstehen können und gezwungen sein
werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer
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Berlin, Saalfeld, Leipzig
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- 15725 / 166521
- Contributor
- Karl Döbling
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