Zeitungen aus der Kriegszeit 1914, item 7

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 item 7 


 1. Spalte 

                              Die Straßenkundgebungen.

   Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

Bevölkerung freizumachen gewußt.

   Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

erläßt folgende Warnung:

     "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

  öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

  den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

  mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

  dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

  sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

  zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

  Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

  sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

  tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

  diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

    Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

nach dem Belagerungszustand:

   Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

Mittel.

   Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

kann jeder Esel regieren."

                                             _______________

                    Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

  Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

   Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

hätten.

                              ___________________________

                     Die Altpensionäre gehen leer aus.

   Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                              _______________________

   Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

sechs Monaten Gefängnis.

   Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

der Partei wieder übernehmen.


 2. Spalte 

                      Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                          München, 30.Juli.

Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

"Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

   In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

überhaupt nicht beleidigen.

                                        _____________________________

                   Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                            für Angestellte.

   Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

"Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

   Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

Beamtenausschuß

                                nur ein Dekorationsstück,

nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

kommen.

   Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

  "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

  Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

  tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

  gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

  gabe zur Tagesordnung weiter."

   Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

wirklich verdient.

                                   _____________________________

                          Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

   Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

(Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                          _______________________________                             

N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

Die Börse gelähmt.


 siehe oben 


 3. Spalte 

 siehe oben 

                                            Letzte Post

   Wegen eines Gattenmordversuches wurde von der Lichten-

berger Kriminalpolizei der 28 Jahre alte Arbeiter Paul Bräuer

aus Dresden verhaftet. Es steht im dringenden Verdacht, an

seiner Ehefrau einen Mordversuch verübt zu haben. Nachts fiel er

über die ahnungslos im Bett liegende Frau her und suchte sie

zu erwürgen. Die Bedrohte vermochte den Täter jedoch von sich

abzuschütteln. Bräuer aber holte ein Beil aus der Küche und ver-

setzte ihr damit mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Hierauf 

flüchtete der Täter. Die Ueberfallene wurde später in schwer- 

verletzem Zustande aufgefunden; sie wird wohl kaum mit dem

Leben davonkommen. Bräuer suchte zunächst in Berlin Zuflucht,

und dann wandte er sich nach Lichtenberg. Dort wurde er von der  

Kriminalpolizei erkannt, festgenommen und nach Dresden trans-

portiert.

                                 ________________________________

                                Witterungsbeobachtungen in Berlin, 30. Juli 1914.

____________________________________________________________________________________________________________________________

       Juli                               Luftdruck             Temp.         Windrichtung             Bewölk.               Luft-

                                            in 55 m                Cels.                   und                       0 - 10             feuchtigkeit  

                                           Seehöhe                                    Stärke 0 - 12                                          in %

___________________________________________________________________________________________________________________

29. 9 Uhr abends             746,4                    14,2               NW 3                          10                      95

30. 7 Uhr vorm.                750,0                    13,8             NNO 1                          10                      97

30. 2 Uhr nachm.             752,8                    18,9                SW 2                            7                      68


29. Juli: Höchste Temperatur 17,6 ° C.   Niedrigste Temperatur 12,0° CC.

                Tagesmittel: 14,2 ° C   Normales Tagesmittel 18,9 C.

   Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. Im östlichen

Binnenlande und im Süden noch an den meisten Orten etwas Regen, im

Nordwesten und längs der Küste größtenteils trocken, überall langsame

Erwärmung.

   Wetter in Deutschland. Beim Vorübergange des von Nordwest- nach

Ostdeutschland gelangten, nur noch mäßig tiefen barometrischen Mini-

mums haben wiederum in den meisten Gegenden Deutschlands lange

anhaltende Regenfälle stattgefunden, die besonders zwischen der mittleren

Elbe und unteren Oder sehr ergiebig waren.  In Berlin und ver-

schiedenen Orten der Provinz Brandenburg sind in den letzten

24 Stunden über 30 Millimeter Regen gefallen. Im Küstengebiete haben

sich die Winde nach Nordost gedreht und ist über Nacht vielfach heiteres,

etwas wärmeres Wetter eingetreten. Dagegen dauert im größten Teile

des Binnenlandes die trübe, kühle, stellenweise regnerische Witterung bei

mäßigen West- bis Nordwestwinden noch fort; Borkum, Keitum und

Swinemünde haben heute früh schon 18, Metz nur 12 Grad Celsius.

Sonnenaufgang   4 Uhr 24 Min.      Mondaufgang   3 Uhr 48 Min. nachm.

Sonnenuntergang   7 Uhr 59 Min.    Monduntergang  10 Uhr 50 Min. abds.

                                              _____________________________

Verantwortliche Redakteure: Für Politik:  Dr. Alfred Krüger in

Tempelhof, für den übrigen redaktionellen Teil: Friedrich Wulle in

Mariendorf-Südende; verantwortlich für Inserate: Hans Schröder

in Berlin. Druck und Verlag von Rudolf Wosse in Berlin

                                                __________________________

Hierzu 1 Beiblatt mit dem Täglichen Unterhaltungsblatt.




  

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 item 7 


 1. Spalte 

                              Die Straßenkundgebungen.

   Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

Bevölkerung freizumachen gewußt.

   Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

erläßt folgende Warnung:

     "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

  öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

  den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

  mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

  dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

  sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

  zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

  Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

  sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

  tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

  diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

    Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

nach dem Belagerungszustand:

   Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

Mittel.

   Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

kann jeder Esel regieren."

                                             _______________

                    Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

  Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

   Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

hätten.

                              ___________________________

                     Die Altpensionäre gehen leer aus.

   Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                              _______________________

   Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

sechs Monaten Gefängnis.

   Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

der Partei wieder übernehmen.


 2. Spalte 

                      Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                          München, 30.Juli.

Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

"Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

   In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

überhaupt nicht beleidigen.

                                        _____________________________

                   Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                            für Angestellte.

   Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

"Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

   Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

Beamtenausschuß

                                nur ein Dekorationsstück,

nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

kommen.

   Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

  "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

  Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

  tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

  gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

  gabe zur Tagesordnung weiter."

   Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

wirklich verdient.

                                   _____________________________

                          Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

   Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

(Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                          _______________________________                             

N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

Die Börse gelähmt.


 siehe oben 


 3. Spalte 

 siehe oben 

                                            Letzte Post

   Wegen eines Gattenmordversuches wurde von der Lichten-

berger Kriminalpolizei der 28 Jahre alte Arbeiter Paul Bräuer

aus Dresden verhaftet. Es steht im dringenden Verdacht, an

seiner Ehefrau einen Mordversuch verübt zu haben. Nachts fiel er

über die ahnungslos im Bett liegende Frau her und suchte sie

zu erwürgen. Die Bedrohte vermochte den Täter jedoch von sich

abzuschütteln. Bräuer aber holte ein Beil aus der Küche und ver-

setzte ihr damit mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Hierauf 

flüchtete der Täter. Die Ueberfallene wurde später in schwer- 

verletzem Zustande aufgefunden; sie wird wohl kaum mit dem

Leben davonkommen. Bräuer suchte zunächst in Berlin Zuflucht,

und dann wandte er sich nach Lichtenberg. Dort wurde er von der  

Kriminalpolizei erkannt, festgenommen und nach Dresden trans-

portiert.

                                 ________________________________

                                Witterungsbeobachtungen in Berlin, 30. Juli 1914.

____________________________________________________________________________________________________________________________

       Juli                               Luftdruck             Temp.         Windrichtung             Bewölk.               Luft-

                                            in 55 m                Cels.                   und                       0 - 10             feuchtigkeit  

                                           Seehöhe                                    Stärke 0 - 12                                          in %

___________________________________________________________________________________________________________________

29. 9 Uhr abends             746,4                    14,2               NW 3                          10                      95

30. 7 Uhr vorm.                750,0                    13,8             NNO 1                          10                      97

30. 2 Uhr nachm.             752,8                    18,9                SW 2                            7                      68


29. Juli: Höchste Temperatur 17,6 ° C.   Niedrigste Temperatur 12,0° CC.

                Tagesmittel: 14,2 ° C   Normales Tagesmittel 18,9 C.

   Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. Im östlichen

Binnenlande und im Süden noch an den meisten Orten etwas Regen, im

Nordwesten und längs der Küste größtenteils trocken, überall langsame

Erwärmung.

   Wetter in Deutschland. Beim Vorübergange des von Nordwest- nach

Ostdeutschland gelangten, nur noch mäßig tiefen barometrischen Mini-

mums haben wiederum in den meisten Gegenden Deutschlands lange

anhaltende Regenfälle stattgefunden, die besonders zwischen der mittleren

Elbe und unteren Oder sehr ergiebig waren.  In Berlin und ver-

schiedenen Orten der Provinz Brandenburg sind in den letzten

24 Stunden über 30 Millimeter Regen gefallen. Im Küstengebiete haben

sich die Winde nach Nordost gedreht und ist über Nacht vielfach heiteres,

etwas wärmeres Wetter eingetreten. Dagegen dauert im größten Teile

des Binnenlandes die trübe, kühle, stellenweise regnerische Witterung bei

mäßigen West- bis Nordwestwinden noch fort; Borkum, Keitum und

Swinemünde haben heute früh schon 18, Metz nur 12 Grad Celsius.

Sonnenaufgang   4 Uhr 24 Min.      Mondaufgang   3 Uhr 48 Min. nachm.

Sonnenuntergang   7 Uhr 59 Min.    Monduntergang  10 Uhr 50 Min. abds.

                                              _____________________________

Verantwortliche Redakteure: Für Politik:  Dr. Alfred Krüger in

Tempelhof, für den übrigen redaktionellen Teil: Friedrich Wulle in

Mariendorf-Südende; verantwortlich für Inserate: Hans Schröder

in Berlin. Druck und Verlag von Rudolf Wosse in Berlin

                                                __________________________

Hierzu 1 Beiblatt mit dem Täglichen Unterhaltungsblatt.




  


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  • August 14, 2017 20:03:53 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                              _______________________________                             

    N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

    Die Börse gelähmt.


     siehe oben 


     3. Spalte 

     siehe oben 

                                                Letzte Post

       Wegen eines Gattenmordversuches wurde von der Lichten-

    berger Kriminalpolizei der 28 Jahre alte Arbeiter Paul Bräuer

    aus Dresden verhaftet. Es steht im dringenden Verdacht, an

    seiner Ehefrau einen Mordversuch verübt zu haben. Nachts fiel er

    über die ahnungslos im Bett liegende Frau her und suchte sie

    zu erwürgen. Die Bedrohte vermochte den Täter jedoch von sich

    abzuschütteln. Bräuer aber holte ein Beil aus der Küche und ver-

    setzte ihr damit mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Hierauf 

    flüchtete der Täter. Die Ueberfallene wurde später in schwer- 

    verletzem Zustande aufgefunden; sie wird wohl kaum mit dem

    Leben davonkommen. Bräuer suchte zunächst in Berlin Zuflucht,

    und dann wandte er sich nach Lichtenberg. Dort wurde er von der  

    Kriminalpolizei erkannt, festgenommen und nach Dresden trans-

    portiert.

                                     ________________________________

                                    Witterungsbeobachtungen in Berlin, 30. Juli 1914.

    ____________________________________________________________________________________________________________________________

           Juli                               Luftdruck             Temp.         Windrichtung             Bewölk.               Luft-

                                                in 55 m                Cels.                   und                       0 - 10             feuchtigkeit  

                                               Seehöhe                                    Stärke 0 - 12                                          in %

    ___________________________________________________________________________________________________________________

    29. 9 Uhr abends             746,4                    14,2               NW 3                          10                      95

    30. 7 Uhr vorm.                750,0                    13,8             NNO 1                          10                      97

    30. 2 Uhr nachm.             752,8                    18,9                SW 2                            7                      68


    29. Juli: Höchste Temperatur 17,6 ° C.   Niedrigste Temperatur 12,0° CC.

                    Tagesmittel: 14,2 ° C   Normales Tagesmittel 18,9 C.

       Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland. Im östlichen

    Binnenlande und im Süden noch an den meisten Orten etwas Regen, im

    Nordwesten und längs der Küste größtenteils trocken, überall langsame

    Erwärmung.

       Wetter in Deutschland. Beim Vorübergange des von Nordwest- nach

    Ostdeutschland gelangten, nur noch mäßig tiefen barometrischen Mini-

    mums haben wiederum in den meisten Gegenden Deutschlands lange

    anhaltende Regenfälle stattgefunden, die besonders zwischen der mittleren

    Elbe und unteren Oder sehr ergiebig waren.  In Berlin und ver-

    schiedenen Orten der Provinz Brandenburg sind in den letzten

    24 Stunden über 30 Millimeter Regen gefallen. Im Küstengebiete haben

    sich die Winde nach Nordost gedreht und ist über Nacht vielfach heiteres,

    etwas wärmeres Wetter eingetreten. Dagegen dauert im größten Teile

    des Binnenlandes die trübe, kühle, stellenweise regnerische Witterung bei

    mäßigen West- bis Nordwestwinden noch fort; Borkum, Keitum und

    Swinemünde haben heute früh schon 18, Metz nur 12 Grad Celsius.

    Sonnenaufgang   4 Uhr 24 Min.      Mondaufgang   3 Uhr 48 Min. nachm.

    Sonnenuntergang   7 Uhr 59 Min.    Monduntergang  10 Uhr 50 Min. abds.

                                                  _____________________________

    Verantwortliche Redakteure: Für Politik:  Dr. Alfred Krüger in

    Tempelhof, für den übrigen redaktionellen Teil: Friedrich Wulle in

    Mariendorf-Südende; verantwortlich für Inserate: Hans Schröder

    in Berlin. Druck und Verlag von Rudolf Wosse in Berlin

                                                    __________________________

    Hierzu 1 Beiblatt mit dem Täglichen Unterhaltungsblatt.




      

  • August 14, 2017 19:46:27 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                              _______________________________                             

    N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

    Die Börse gelähmt.


     siehe oben 


     3. Spalte 

     siehe oben 

                                                Letzte Post

       Wegen eines Gattenmordversuches wurde von der Lichten-

    berger Kriminalpolizei der 28 Jahre alte Arbeiter Paul Bräuer

    aus Dresden verhaftet. Es steht im dringenden Verdacht, an

    seiner Ehefrau einen Mordversuch verübt zu haben. Nachts fiel er

    über die ahnungslos im Bett liegende Frau her und suchte sie

    zu erwürgen. Die Bedrohte vermochte den Täter jedoch von sich

    abzuschütteln. Bräuer aber holte ein Beil aus der Küche und ver-

    setzte ihr damit mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Hierauf 

    flüchtete der Täter. Die Ueberfallene wurde später in schwer- 

    verletzem Zustande aufgefunden; sie wird wohl kaum mit dem

    Leben davonkommen. Bräuer suchte zunächst in Berlin Zuflucht,

    und dann wandte er sich nach Lichtenberg. Dort wurde er von der  

    Kriminalpolizei erkannt, festgenommen und nach Dresden trans-

    portiert.

                                     ________________________________

                                    Witterungsbeobachtungen in Berlin, 30. Juli 1914.

    ____________________________________________________________________________________________________________________________

           Juli                               Luftdruck             Temp.         Windrichtung             Bewölk.               Luft-

                                                in 55 m                Cels.                   und                       0 - 10             feuchtigkeit  

                                               Seehöhe                                    Stärke 0 - 12                                          in %

    ___________________________________________________________________________________________________________________

    29. 9 Uhr abends             746,4                    14,2               NW 3                          10                      95

    30. 7 Uhr vorm.                750,0                    13,8             NNO 1                          10                      97

    30. 2 Uhr nachm.             752,8                    18,9                SW 2                            7                      68


    29. Juli: Höchste Temperatur 17,6 ° C.   Niedrigste Temperatur 12,0° CC.

                    Tagesmittel: 14,2 ° C   Normales Tagesmittel 18,9 C.

    Allgemeine Wetteraussichten für Deutschland: Im östlichen

    Binnenlande und im Süden noch an den meisten Orten etwas Regen, im

    Nordwesten und längs der Küste größtenteils trocken, überrall langsame

    Erwärmung.



      


  • August 14, 2017 19:31:08 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                              _______________________________                             

    N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

    Die Börse gelähmt.


     siehe oben 


     3. Spalte 

     siehe oben 

                                                Letzte Post

       Wegen eines Gattenmordversuches wurde von der Lichten-

    berger Kriminalpolizei der 28 Jahre alte Arbeiter Paul Bräuer

    aus Dresden verhaftet. Es steht im dringenden Verdacht, an

    seiner Ehefrau einen Mordversuch verübt zu haben. Nachts fiel er

    über die ahnungslos im Bett liegende Frau her und suchte sie

    zu erwürgen. Die Bedrohte vermochte den Täter jedoch von sich

    abzuschütteln. Bräuer aber holte ein Beil aus der Küche und ver-

    setzte ihr damit mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Hierauf 

    flüchtete der Täter. Die Ueberfallene wurde später in schwer- 

    verletzem Zustande aufgefunden; sie wird wohl kaum mit dem

    Leben davonkommen. Bräuer suchte zunächst in Berlin Zuflucht,

    und dann wandte er sich nach Lichtenberg. Dort wurde er von der  

    Kriminalpolizei erkannt, festgenommen und nach Dresden trans-

    portiert.



  • August 14, 2017 19:20:05 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                              _______________________________                             

    N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.

    Die Börse gelähmt.


     siehe oben 




  • August 14, 2017 19:18:41 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.

                                              _______________________________

    N e u e s t e  H a n d e l s n a c h r i c h t e n.



  • August 14, 2017 19:16:51 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.

                                       _____________________________

                              Der Post- und Bahnverkehr nach Oesterreich.

       Während der Eisenbahnverkehr nach Oesterreich und nach Ungarn

    infolge der Kriegswirren in der Nachbarmonarchie gegenwärtig 

    größeren Störungen unterworfen und der Güterverkehr zum Teil

    gänzlich gesperrt ist, hat, wie der Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische 

    Wirtschaftsverband in Berlin mitteilt, der Postverkehr bisher

    geringe Störungen erfahren. Postpakete, Telegramme,

    sowie Briefe können nach wie vor sowohl nach Oesterreich wie

    nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Zustellung der Sendungen er-

    folgt allerdings, insbesondere nach Böhmen und Ungarn, mit einiger

    Verzögerung, namentlich treffen Telegramme infolge des starken

    Verkehrs mit bedeutenden, etwa vierstündigen Verspätungen am Be-

    stimmungsorte ein. Hinsichtlich des Güterverkehrs macht der

    Deutsch-Oesterreichisch-Ungarische Wirtschaftsverband darauf aufmerk-

    sam, daß die Strecken Oderberg - Ruttka und Eger (Staatsbahn) - 

    Pilsen, ausschließlich Pilsen-Ort, desgleichen die Strecke Eger

    (Buschtehrader Eisenbahn) bis Prag - Bubna vorläufig auch für den

    Güterverkehr noch frei sind. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft

    hat den Verkehr unterhalb Semlin eingestellt. Interessenten er-

    fahren näheres über die Beförderungsverhältnisse durch die Geschäfts-

    stelle des Deutsch-Oesterreichisch-Ungarischen Wirtschaftsverbandes,

    Berlin W., Am Karlsbad 16.



  • August 14, 2017 19:00:57 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."

       Die Beamten wollen sich mit diesem ablehnenden Bescheid nicht ab-

    speisen lassen. Sie wollen sich an den Reichstag wenden, um die

    Einrichtung eines Beamtenausschusses durchzusetzen, der diesen Namen

    wirklich verdient.


  • August 14, 2017 18:58:56 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenvereini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."



  • August 14, 2017 18:58:40 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.

       Die Beamtenvereinigung begründete ihren Standpunkt ausführ-

    lich in einer Eingabe, in der sie ihre Wünsche auf Ausstattung des

    Beamtenausschusses mit größeren Machtbefugnissen aussprach. Auf

    diese Eingabe haben jetzt das Direktorium und der Verwaltungsrat

    einen ablehnenden Bescheid erteilt mit der Begründung:

      "Solange die Beamten von dem ihnen gegebenen Recht, sich eine

      Vertretung zu schaffen, keinen Gebrauch machen, muß es der Verwal-

      tungsrat ablehnen, zu irgendwelchen Eingaben von Beamtenveeini-

      gungen Stellung zu nehmen; er geht daher über die vorliegende Ein-

      gabe zur Tagesordnung weiter."



  • August 14, 2017 18:51:38 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß

                                    nur ein Dekorationsstück,

    nicht aber ein Organ zur Vertretung der Beamtenwünsche sein

    würde. Im Gegenteil würde die Existenz des Ausschusses dem

    Direktorium nur die Möglichkeit geben, jede Verhandlung mit den

    einzelnen Beamten oder mit ihrer Organisation abzulehnen.

    Aus diesen Gründen lehnten die Beamten die Betei-

    ligung an der Wahl des Beamtenausschusses ab 

    und so ist dieser Ausschuß praktisch nicht zustande ge-

    kommen.


  • August 14, 2017 18:44:34 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. Die Versicherungs-

    anstalt beschäftigt etwa 200 Beamte, die sich eine Organisation in der

    "Vereinigung der mittleren Beamten der Reichs-

    versicherungsanstalt für Angestellte" geschaffen haben.

    Vor wenigen Monaten wurde vom Verwaltungsrat und von der Direk-

    tion der Versicherungsanstalt die Schaffung eines  Beamtenaus-

    schusses beschlossen. Die Satzungen des Ausschusses erregen aber

    den lebhaften Widerspruch der Beamten.Vor allem wird die geringe

    Machtbefugnis des Beamtenausschusses bemängelt.

       Nach den Satzungen kann das Direktorium nach eigenem

    Ermessen bestimmen, ob es den Ausschuß in  einer Sache hören

    will. In Gehaltsfragen und Angelegenheiten einzelner Beamter

    darf der Ausschuß überhaupt nicht mitreden. Unter diesen Um-

    ständen haben sich die Beamten auf den Standpunkt gestellt, daß der

    Beamtenausschuß



  • August 14, 2017 18:35:26 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.

                                            _____________________________

                       Ein Konflikt in der Reichsversicherungsanstalt

                                                für Angestellte.

       Zu tief gehenden Differenzen ist es in der Reichsversicherungs-

    anstalt für Angestellte gekommen, die mit dem Inkrafttreten der staat-

    lichen Angestelltenversicherung errichtet wurde. 


  • August 13, 2017 20:26:27 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In der darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    Mittelpunkt des Etats stand die viel erörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.


  • August 13, 2017 20:19:21 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.

    Die Bayerische Kammer fühlt sich durch die Weltlage in ihren

    Arbeiten beengt und hält sich zu ihrem Abbruch bereit. Der Prä-

    sident v. Orterer begann  die gestrige Sitzung mit der Erklärung,

    daß der Seniorenkonvent zu dem Beschluß gekommen sei, die Be-

    ratungen in möglichst raschem Tempo durchzuführen. Sollte der

    Tag aber etwas wesentlich Neues bringen, so müßte morgen

    vom Ministerpräsidenten eine Erklärung über die all-

    gemeine Lage erwartet werden. In de darauf folgenden Be-

    ratung des Eisenbahnetats kam es zu heftigen Szenen. Im

    mittelpunkt des Etats stand die vielerörterte Reversfrage,

    also das Streikverbot für Eisenbahner und das Verbot, dem Süd-

    deutschen Eisenbahnerverband anzugehören. Das Zentrum erklärt

    sich mit diesem Revers des Verkehrsministers einverstanden,

    ebenso die Konservativen. Der Sozialdemokrat Roßhaupter

    polemisiert heftig gegen den Revers. Der Verkehrsminister v. Seid-

    lein erwiderte, er stelle an die bürgerlichen Parteien die eine Frage: 

    Wollen wir uns die Herrschaft über unser Perso-

    sonal und damit über den Betrieb entreißen lassen?

    Wollen wir unser Wohl und Wehe einem Dr. Süßheim, einem

    Roßhaupter und sonstigen führenden Genossen überlassen? Die

    Antwort muß lauten: "Niemals!" Daher der Schmerz Roß-

    haupters und seiner Freunde, daher seine Angriffe.  Auf die Worte

    des Verkehrsministers erhebt sich Lärm und Schreien bei den

    Sozialdemokraten, man hört die Worte "Frechheit", 

    "Unverschämtheit", "Unfähigkeit" und "Feigheit".

       In dem allgemeinen Lärm bleibt der Präsident unverständ-

    lich. Er scheint die Störer zur Ordnung zu rufen. Dr. Süß-

    heim erhebt sich, um gegen den  Verkehrsminister im Namen der

    Fraktion zu erklären, ein Minister Seidlein könne die Sozialdemokraten

    überhaupt nicht beleidigen.


  • August 13, 2017 19:56:20 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.


     2. Spalte 

                          Sturm in der Bayerischen Kammer.

                                                                              München, 30.Juli.


  • August 13, 2017 19:54:48 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.

       Eine Vertrauenskundgebung für Caillaux. Einem Tele-

    gramm aus Paris zufolge, hat er Vorstand des Vollzugsausschusses der

    sozialistisch-radikalen Partei beschlossen, dem ehe-

    maligen Ministerpräsidenten Caillaux im Namen aller Partei-

    mitglieder eine Adresse zu überreichen, in dem ihm die lebhafteste

    Sympathie und gleichzeitig der Wunsch ausgesprochen wird, er

    möge nach der Zurückhaltung, welche er sich freiwillig auferlegt

    habe, die tatsächliche Leitung des Vollzugausschusses

    der Partei wieder übernehmen.



  • August 13, 2017 19:45:16 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).

                                                  _______________________

       Wegen Beleidigung des Kronprinzen verurteilte die

    Strafkammer in Waldenburg laut einem Telegramm den

    Gewerkschaftssekretär Osterroth aus Hamm in Westfalen zu

    sechs Monaten Gefängnis.


  • August 13, 2017 19:42:19 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsregierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).


  • August 13, 2017 19:41:21 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsegierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).


  • August 13, 2017 19:38:54 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden. Auch wenn die Einbringung eines Ent-

    wurfs für die Altpensionäre und Althinterbliebenen des Reichs,

    der im Herbst im Reichstage eingebracht wird, im Reichsparlament

    Zustimmung finden wird, dürfte die Staatsegierung nicht

    ihre Zustimmung zu einer solchen Vorlage geben. Gegen sie

    werden sowohl staatsrechtliche wie vor allem finanzielle

    Gründe geltent (sic) gemacht. Nach Erhebungen, die über die Bezüge

    der Altpensionäre einschließlich der Lehrer sowie der Althinterbliebe-

    nen angestellt wurden, würden fast 50 Millionen notwendig

    sein, um die Bezüge gesetzlich festzulegen. Es soll sich weiter heraus-

    gestellt haben, daß die Altpensionäre  von Preußen bei Gewährung

    gesetzlicher Bezüge tatsächlich schlechter  wegkommen als

    bei Auszahlung der Ausgleichsbeihilfen (?).


  • August 13, 2017 19:19:48 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________

                         Die Altpensionäre gehen leer aus.

       Der im Landtage wiederholt geforderten gesetz-

    lichen Regelung der Bezüge der Altpensionäre in

    Preußen wird, wie wir hören, unter keinen Umständen

    stattgegeben werden.



  • August 13, 2017 19:14:51 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.

                                  ___________________________



  • August 13, 2017 19:14:17 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.


  • August 13, 2017 19:10:40 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wäre, die geeignete Schritte bei

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.


  • August 13, 2017 19:09:35 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .

       Jetzt zeigte sich wie nützlich es wäre, wenn wir einen solchen

    Generalstab wirtschaftlicher Art hätten. Die Börsenpaniken

    der letzten Tage hätten erheblich abgeschwächt werden

    können, wenn rechtzeitig eine Organisation von Fach-

    leuten vorhanden gewesen wär die geeignete Schritte beu

    Behörden und Banken hätte durchsetzen können und die auch eine

    großzügige Beruhigungsaufklärung des Publi-

    kums hätte veranlassen können. Eine Mobilisierung

    wird sich natürlich für das militärische Leben tadellos

    funktionierend vollziehen, für das übrige Leben der Nation,

    für Verkehr, Nahrungsmittelversorgung usw.

    muß aber notgedrungen eine Mobilisierung große Hem-

    mungen und auch Verluste mit sich bringen. Vielleicht

    ließen sie sich wenigstens mildern, wenn es auch für diese

    Dinge einen "Feldzugsplan" gäbe, den ein wirtschaftlicher 

    Generalstab hätte vorbereiten müssen. Sollte es jetzt bereits

    zu spät sein, das Versäumte nachzuholen, so wäre doch zu

    wünschen, daß die einzelnen Stadtverwaltungen 

    in Deutschland für ihre Bezirke schnell noch für alle

    Eventualitäten solche wirtschaftlichen Generalstäbe

    bilden, die sich mit den gekennzeichneten Problemen zu befassen

    hätten.


  • August 13, 2017 18:53:13 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."

                                                 _______________

                        Wo bleibt der wirtschaftliche Generalstab?

      Als vor zwei Jahren der Ausbruch des Balkankrieges

    schwere Krisenzustände über die deutschen Börsen und das

    übrige Handelsleben mit sich brachte, regte der Präsident

    des Hansabundes Geheimrat Niesser die Grün-

    dung eines wirtschaftlichen Generalstabes an, der

    für solche Kriegszeiten die geeigneten Maßnahmen vorbereiten

    könnte, um die schwersten Schädigungen des Wirtschaftslebens

    nach Kräften zu verhindern. Die Anregung wurde in den

    weitesten Kreisen beifällig begrüßt. Die Reichsregierung nahm

    wohlwollend Notiz davon, der neue preußische Kriegsminister

    Herr von Falkenhayn stellte die Einberufung eines solchen

    Generalstabs, der aus erfahrenen Autoritäten des Wirtschafts-

    lebens bestehen sollte, in Aussicht und es hat dann auch einmal

    in Berlin unter Mitwirkung amtlicher Stellen eine Vor-

    besprechung stattgefunden. Dabei ist es aber geblieben . . .


  • August 13, 2017 18:28:11 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:

       Man sollte vor der Erklärung des Kriegs- und Be-

    lagerungszustandes nicht zurückschrecken. Eine

    außerordentliche Lage  verlangt auch außerordentliche

    Mittel.

       Der Belagerungszustand würde auf die Massen, gegen die

    er gerichtet ist, auch eine ganz außerordentliche, gewiß

    nicht erwünschte Wirkung ausüben. Wie lautet doch

    Cavours Wort? "Mit dem Belagerungszustand

    kann jeder Esel regieren."


  • August 13, 2017 18:22:35 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jedes verant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:


  • August 13, 2017 18:21:02 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

         "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

      öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

      den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

      mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

      dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

      sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

      zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

      Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

      sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

      tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

      diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."

        Diese Ausführungen sind erfreulich. Denn in ernsten

    Zeiten ist es für Volk und Vaterland dringend nötig, daß wir

    nach außen hin als geschlossenes Volksganzes

    wirken. Schafft die Sozialdemokratie durch ihre

    Politik Unterschiede, so ist es nicht richtig, wenn diese

    behördlicherseits durch zweierlei Recht noch

    vergrößert werden. Wenn Deutschland zur Verteidigung

    seiner Lebensinteressen das Schwert ziehen müßte, so kann es

    keinen Volksteil entbehren. Es ist also Pflicht jexdes veant-

    wortlichen Politikers, in diesen kritischen Tagen alles

    Trennende beiseite zu lassen; das sollte besonders Pflicht der-

    jenigen Kreise sein, die sonst gerne mit dem "nationalen"

    Mäntelchen paradieren. Das Organ der preußischen Junker

    kann  aber auch jetzt die Scharfmacherei nicht lassen; es schreit

    nach dem Belagerungszustand:


  • August 13, 2017 18:12:17 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

          "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

       öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

       den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

       mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

       dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

       sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

       zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

       Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

       sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

       tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

       diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind."


  • August 13, 2017 18:11:21 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe, ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.

    Die Regierung scheint das Bedenkliche dieser unterschiedlichen

    Behandlung der Kundgebungen auch erkannt zu haben, denn sie 

    erläßt folgende Warnung:

       "Wie bekannt, werden vom Berliner Polizeipräsidium die

    öffentlichen Umzüge, die während der letzten Tage Unter

    den Linden und in anderen Straßen stattgefunden hatten, nicht

    mehr zugelassen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit

    dieser Maßregel hat sich Dienstag abend erwiesen, wo die beab-

    sichtigten sozialdemokratischen Straßendemonstrationen durch recht-

    zeitige Absperrungsmaßregeln im wesentlichen verhindert wurden.

    Es ist selbstverständlich. daß sich das durch Verkehrsrück-

    sichten veranlaßte polizeiliche Verbot auch auf die  patrio-

    tischen Umzüge der letzten Tage erstrecken mußte, so erfreulich

    diese Äußerungen von Vaterlandsliebe an sich auch sind.


  • August 13, 2017 17:52:13 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

       Es ist am Dienstag abend in Berlin zu zweierlei

    Kundgebungen gekommen. Gegen  die sozialdemo-

    kratischen Versammlungsbesucher schritt die Polizei, zum

    Teil mit blanker Waffe ein. Andererseits wurden An-

    sammlungen, bei denen patriotische Lieder gesungen und Hoch-

    rufe auf Deutschland und Oesterreich ausgebracht wurden, un-

    behelligt gelassen. Beide Arten von Kundgebungen aber 

    verstießen gegen das ausdrückliche Verbot des Polizei-

    präsidenten, das an gleichem Tage erlassen worden war. Hinzu

    tritt noch, daß den nationalen Demonstrationen an den drei

    vorhergehenden Tagen in keiner Weise entgegengetreten wurde.


      


  • August 13, 2017 17:45:29 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

      


  • August 13, 2017 17:44:49 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.

       Es geht nicht an, in einem Augenblick, wo unter Umständen

    das Volk in Kürze zu den Waffen gerufen werden könnte,

    zweierlei Recht für die Bürger zu proklamieren. Völlig

    hat sich die Berliner Polizei noch nicht von dem Standpunkt

    der Ausnahmebehandlung einer gewissen Schicht der

    Bevölkerung freizumachen gewußt.

      


  • August 12, 2017 17:07:54 Beate Jochem

     item 7 


     1. Spalte 

                                  Die Straßenkundgebungen.


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    Berlin, Saalfeld, Leipzig

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  • Story location Berlin, Saalfeld, Leipzig
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ID
15725 / 166517
Source
http://europeana1914-1918.eu/...
Contributor
Karl Döbling
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http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


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