Zeitungen aus der Kriegszeit 1914, item 27
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
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Aus der Geschäftswelt.
Die Sorge für die Kleidung, die zweckentsprechend, preiswert und der Per-
sönlichkeit angemessen sein soll, wird der Frauenwelt sehr erleichtert durch das
allgemein beliebte Favorit-Modealbum, welches zum Preise von 60 Pfg. im
Verlag Internationale Schnittmanufaktur, Dresden, soeben erschienen ist. Es
bietet eine überaus reiche Zusammensetzung sorgfältig gewählter Kleiderformen,
die mit Hilfe von Favorit-Schnitten bequem und preiswert nachgeschneidert
werden können. Das beliebte Modenbuch darf als preiswertester Berater in
allen Kleiderfragen angesehen werden. Es ist zu beziehen für 60 Pfg. von der
hiesigen Vertretung, Firma Emil de Beer, Peterstraße 38, Posamenten- und
Spitzenhaus.
Französische und belgische Original-Dum-Dum-Geschosse in Leipzig. In
einem ihrer Schaufenster in der Windmühlenstraße hat die Firma Kaufhaus
Gebr. Joske eine Anzahl Geschosse ausgestellt, die unsere verwundeten
Krieger gefangenen und gefallenen Feinden abgenommen haben. Unter diesen
Geschossen französischen, belgischen und russischen Ursprungs befinden sich auch
mehrere belgische und französische Dum-Dum-Geschosse. Bei diesen Geschossen
tritt an der Spitze der Bleikern, der oben abgeplattet ist, deutlich
dem Nickelmantel hervor. - Ferner ist ein 42-Zentimeter-Mörser-Geschoß
in Originalgröße abgebildet.
Eine patriotische Schaustellung bietet das Zigarren-Haus Franz Köhler,
Gewerbestraße 11, in seinen Schaufensterauslagen im Laden und im ersten
Stockwerk. Während es den am Schaufenster Vorübergehenden unter dem Leit-
spruch "Deutsche Helden" auf geschmackvoll ausgestatteten Kistchen die
Bildnisse unserer jüngsten Heldenführer bringt, gefüllt mit besten Fabrikaten,
zeigt das erste Stockwerk die Germania umgeben von den beiden kronprinzlichen
Siegern.
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Tabellen nicht transkribiert
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
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Aus der Geschäftswelt.
Die Sorge für die Kleidung, die zweckentsprechend, preiswert und der Per-
sönlichkeit angemessen sein soll, wird der Frauenwelt sehr erleichtert durch das
allgemein beliebte Favorit-Modealbum, welches zum Preise von 60 Pfg. im
Verlag Internationale Schnittmanufaktur, Dresden, soeben erschienen ist. Es
bietet eine überaus reiche Zusammensetzung sorgfältig gewählter Kleiderformen,
die mit Hilfe von Favorit-Schnitten bequem und preiswert nachgeschneidert
werden können. Das beliebte Modenbuch darf als preiswertester Berater in
allen Kleiderfragen angesehen werden. Es ist zu beziehen für 60 Pfg. von der
hiesigen Vertretung, Firma Emil de Beer, Peterstraße 38, Posamenten- und
Spitzenhaus.
Französische und belgische Original-Dum-Dum-Geschosse in Leipzig. In
einem ihrer Schaufenster in der Windmühlenstraße hat die Firma Kaufhaus
Gebr. Joske eine Anzahl Geschosse ausgestellt, die unsere verwundeten
Krieger gefangenen und gefallenen Feinden abgenommen haben. Unter diesen
Geschossen französischen, belgischen und russischen Ursprungs befinden sich auch
mehrere belgische und französische Dum-Dum-Geschosse. Bei diesen Geschossen
tritt an der Spitze der Bleikern, der oben abgeplattet ist, deutlich
dem Nickelmantel hervor. - Ferner ist ein 42-Zentimeter-Mörser-Geschoß
in Originalgröße abgebildet.
Eine patriotische Schaustellung bietet das Zigarren-Haus Franz Köhler,
Gewerbestraße 11, in seinen Schaufensterauslagen im Laden und im ersten
Stockwerk. Während es den am Schaufenster Vorübergehenden unter dem Leit-
spruch "Deutsche Helden" auf geschmackvoll ausgestatteten Kistchen die
Bildnisse unserer jüngsten Heldenführer bringt, gefüllt mit besten Fabrikaten,
zeigt das erste Stockwerk die Germania umgeben von den beiden kronprinzlichen
Siegern.
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Tabellen nicht transkribiert
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
___________________________
Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
______________________________________________________________________
Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
__________________________________________________________________________
Aus der Geschäftswelt.
Die Sorge für die Kleidung, die zweckentsprechend, preiswert und der Per-
sönlichkeit angemessen sein soll, wird der Frauenwelt sehr erleichtert durch das
allgemein beliebte Favorit-Modealbum, welches zum Preise von 60 Pfg. im
Verlag Internationale Schnittmanufaktur, Dresden, soeben erschienen ist. Es
bietet eine überaus reiche Zusammensetzung sorgfältig gewählter Kleiderformen,
die mit Hilfe von Favorit-Schnitten bequem und preiswert nachgeschneidert
werden können. Das beliebte Modenbuch darf als preiswertester Berater in
allen Kleiderfragen angesehen werden. Es ist zu beziehen für 60 Pfg. von der
hiesigen Vertretung, Firma Emil de Beer, Peterstraße 38, Posamenten- und
Spitzenhaus.
Französische und belgische Original-Dum-Dum-Geschosse in Leipzig. In
einem ihrer Schaufenster in der Windmühlenstraße hat die Firma Kaufhaus
Gebr. Joske eine Anzahl Geschosse ausgestellt, die unsere verwundeten
Krieger gefangenen und gefallenen Feinden abgenommen haben. Unter diesen
Geschossen französischen, belgischen und russischen Ursprungs befinden sich auch
mehrere belgische und französische Dum-Dum-Geschossen. Bei diesen Geschossen
tritt an der Spitze der Bleikern, der oben abgeplattet ist, deutlich
dem Nickelmantel hervor. - Ferner ist ein 42-Zentimeter-Mörser-Geschoß
in Originalgröße abgebildet.
Eine patriotische Schaustellung bietet das Zigarren-Haus Franz Köhler,
Gewerbestraße 11, in seinen Schaufensterauslagen im Laden und im ersten
Stockwerk. Während es den am Schaufenster Vorübergehenden unter dem Leit-
spruch "Deutsche Helden" auf geschmackvoll ausgestatteten Kistchen die
Bildnisse unserer jüngsten Heldenführer bringt, gefüllt mit besten Fabrikaten,
zeigt das erste Stockwerk die Germania umgeben von den beiden kronprinzlichen
Siegern.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
___________________________________________________________________________________________________________________
1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
__________________________________________________________________________
Aus der Geschäftswelt.
Die Sorge für die Kleidung, die zweckentsprechend, preiswert und der Per-
sönlichkeit angemessen sein soll, wird der Frauenwelt sehr erleichtert durch das
allgemein beliebte Favorit-Modealbum, welches zum Preise von 60 Pfg. im
Verlag Internationale Schnittmanufaktur, Dresden, soeben erschienen ist. Es
bietet eine überaus reiche Zusammensetzung sorgfältig gewählter Kleiderformen,
die mit Hilfe von Favorit-Schnitten bequem und preiswert nachgeschneidert
werden können. Das beliebte Modenbuch darf als preiswertester Berater in
allen Kleiderfragen angesehen werden. Es ist zu beziehen für 60 Pfg. von der
hiesigen Vertretung, Firma Emil de Beer, Peterstraße 38, Posamenten- und
Spitzenhaus.
Französische und belgische Original-Dum-Dum-Geschosse in Leipzig. In
einem ihrer Schaufenster in der Windmühlenstraße hat die Firma Kaufhaus
Gebr. Joske eine Anzahl Geschosse ausgestellt, die unsere verwundeten
Krieger gefangenen und gefallenen Feinden abgenommen haben. Unter diesen
Geschossen französischen, belgischen und russischen Ursprungs befinden sich auch
mehrere belgische und französische Dum-Dum-Geschossen. Bei diesen Geschossen
tritt an der Spitze der Bleikern, der oben abgeplattet ist, deutlich
dem Nickelmantel hervor. - Ferner ist ein 42-Zentimeter-Mörser-Geschoß
in Originalgröße abgebildet.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
___________________________
Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
______________________________________________________________________
Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
__________________________________________________________________________
Aus der Geschäftswelt.
Die Sorge für die Kleidung, die zweckentsprechend, preiswert und der Per-
sönlichkeit angemessen sein soll, wird der Frauenwelt sehr erleichtert durch das
allegemein beliebte Favorit-Modealbum, welches zum Preise von 60 Pfg. im
Verlag Internationale Schnittmanufaktur, Dresden, soeben erschienen ist. Es
bietet eine überaus reiche Zusammensetzung sorgfältig gewählter Kleiderformen,
die mit Hilfe von Favorit-Schnitten bequem und preiswert nachgeschneidert
werden können. Das beliebte Modenbuch darf als preiswertester Berater in
allen Kleiderfragen angesehen werden. Es ist zu beziehen für 60 Pfg. von der
hiesigen Vertretung, Firma Emil de Beer, Peterstraße 38, Posamenten- und
Spitzenhaus.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
___________________________________________________________________________________________________________________
1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
von allen Seiten eingehenden Abbestellungen bemerkbar. Gut
ist für diesen Fall, daß die Lieferanten in dem Gesetz einen Schutz
finden, nach welchem die Kunden zur Abnahme bestellter Waren ver-
pflichtet sind, soweit dieselben nicht gerade mit Kriegsklausel bestellt
bzw. gekauft sind. Da sich diese Bestimmung jedoch aus diesem oder
jenem Grunde (und Gründe gibt es stets genug!) nicht überall durch-
führen läßt, wird sich der gegenwärtig schon ganz bedeutende Schaden
der Elsässer Fabrikanten und Grossisten noch erheblich vergrößern.
Als Ehrenpflicht sollte es aber die Geschäftswelt im Innern
Deutschlands betrachten, ihren elsässischen Geschäftsfreunden (seien es
Abnehmer oder Lieferanten) jedes nur mögliche Entgegenkommen zu
beweisen, das zu fordern diese Provinz gewiß ein moralisches
Recht hat.
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
______________________________________________________________________
Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellte eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
In verstärktem Maße gilt das auch für die
Textil-Industrie,
hauptsächlich aber für die vielen Blusen- und Kleiderstoff-Buntwe-
bereien, deren Erzeugnisse der Mode unterworfen sind, so daß
große Vorräte, wie sie jetzt durch den Krieg plötzlich liegen geblieben sind,
ganz bedeutend an Wert verlieren - Verluste, die natürlich niemand
vergütet. Dazu gehören besonders die erst vor kurzem so groß in
Aufnahme gekommenen, farbenprächtigen Schottenstoffe (Karos
und Streifen), die im übrigen eine uralte Markircher Spezialität sind.
Die Nähe des Krieges machte sich schon vor Ausbruch durch die
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
___________________________________________________________________________________________________________________
1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
___________________________
Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellt eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war. (Die Post wäre dafür nicht das
einzige Hindernis gewesen, sondern auch die Banken, die nicht mehr
auszahlen konnten.) Aber das bisher Gesagte ist für die reichslän-
dische Geschäftswelt noch nicht einmal das Schlimmste, obgleich der
Krieg bereits so manches Opfer in Geschäftshinsicht gefordert hat.
Berühmte Industriestädte, wie Mühlhausen und mein Wohnort
Markirch, der nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze
entfernt liegt, sind zeitweise von den Franzosen besetzt gewesen
und von Freund und Feind vorher und nachher beschossen worden.
Große Fabriken mussten dem Feinde als Kasernen dienen, geeignete
Geschäftslokale waren dem deutschen Militär gleich von Anbeginn als
Lazarette zur Verfügung gestellt. Das war auch dringend notwendig,
denn in diesen Gebirgsgegenden, den Vogesen, haben seit Anfang des
Krieges scharfe Gefechte stattgefunden. Wie schwer die Kämpfe dort
waren und wie sehr ein Teil der Reichslande in Mitleidenschaft ge-
zogen worden ist, muß auch heute noch späteren Schilderungen vorbe-
halten bleiben. Nur soviel kann schon gesagt werden, daß selbst bei
einem weiter so günstigen Vorwärtsdringen unserer Armeen
wie jetzt nicht so bald wieder an ein Wiederaufleben
des Geschäftsverkehrs zu denken ist. (U. a . auch schon deswegen, weil
die Eisenbahn noch lange für den Güterverkehr gesperrt bleiben
wird. Aber auch, wenn sich das Geschäfts- und Wirtschaftsleben im
Reiche nach Beendigung des Krieges zweifellos schnell wieder erholen
wird, muß man für Elsaß-Lothringen nach Lage der ganzen Verthält-
nisse leider noch lange mit Stockung rechnen.
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes,
Fortsetzung 3. Spalte
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Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
wenn auch bei weitem nicht alle, noch allenfalls aufrecht zu erhalten,
in den Reichslanden ist es viel schlechter bestellt. Natürlich spielt
hierbei auch die Militärpflicht eine große Rolle. Von manchen Firmen,
besser gesagt, fast von allen, sind außer den Prinzipalen sämtliche
Angestellt eingezogen. Bei dem regen Geschäftsverkehr, der sonst im
Reiche mit Elsaß-Lothringen herrscht, wird sich manche Firma anfangs
gewundert haben, daß von den dortigen Geschäftsfreunden kein Lebens-
zeichen mehr, also weder Antwort auf Briefe, noch sonstige Sendungen
und vielleicht in gegenwärtiger Zeit besonders dringend erwartete
Zahlungen zu erhalten war.
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
___________________________
Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes
Fortsetzung 3. Spalte
______________________________________________________________________
Tabelle nicht transkribiert
3. Spalte
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Netzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes
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Tabelle nicht transkribiert
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
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Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes
Fortsetzung 3. Spalte
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes
Fortsetzung 3. Spalte
______________________________________________________________________
Tabelle nicht transkribiert
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
___________________________
Die Geschäftslage in Elsaß-Lothringen.
(Von unserem fachmännischen Mitarbeiter in Markirch i. Elsaß.)
Zu den vom Kriege zunächst betroffenen Gegenden gehören von
selbst die Grenzbezirke, und zu diesen besonders das an Industrie
sehr reiche Elsaß-Lothringen. Seit der Verhängung des Kriegszu-
standes am 31. Juli stockt dort aller Handel und Wandel. Außer Post-
karten und offenen Briefen hat die Post in den gesamten Reichslanden
keinerlei andere Sendungen, also weder geschlossene Briefe, Ein-
schreibebriefe, noch Postanweisungen per Nachnahme usw. und Pakete
angenommen, wodurch der geschäftli
einem Schlage in
Stockung geraten mußte, der als
die völlige Einstellung
folgte. Auch die Eisenbahn
fort allen Güterverkehr auf,
und zwar dergestalt plötzlich, daß
verladene Güter wieder aus-
geladen und ihrem Absender wieder zurückgegeben wurden. Infolge-
dessen sahen sich alle Fabriken und sonstigen Geschäfte ohne weiteres
gezwungen, ihre Betriebe zu schließen. Anderwärts im Reiche ist die
Geschäftswelt in der glücklichen Lage, große Teile ihres Betriebes
Fortsetzung 3. Spalte
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Fortsetzung der Verlosungsliste nicht transkribiert
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
Wenn es mit unseren Waffenerfolgen weiter vorwärts geht, so
wird voraussichtlich auch eine gewisse Belebung der industriellen
Tätigkeit nicht ganz ausbleiben, doch glaubt man allgemein annehmen
zu müssen, daß für absehbare Zeit mit einer ernsthaften Besserung der
geschäftlichen Lage nicht zu rechnen ist. Möglicherweise können wir
uns für die Frühjahrssaison 1915, wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt als sonst, sowohl von Grossisten als auch Detail-
listen Aufträge versprechen. Wenn es überhaupt dazu kommt, können
sich aber diese Bestellungen nur auf Deutschland beziehen, wäh-
rend das gesamte Ausland und Exportgeschäft vorläufig so gut
wie verloren betrachtet werden muß.
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahren einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworden sind. Die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
Das
Geschäft mit indischen Schals,
das in der Hauptsache über Hamburg und England gemacht
wird, wofür September als Hauptversandmonat in Frage
kommt, bringt für jene Fabrikanten, die darauf seit Jahen einge-
richtet sind, heuer einen empfindlichen Schaden, da die dafür aus-
schließlich in Betracht kommenden Ausfuhrhäfen Hamburg und Triest
für Verschiffungen nach Ostindien nicht mehr benutzt werden können
und nur der Weg über Genua, Neapel und Brindisi übrig
bleiben würde, der aber schon aus dem Grund hinfällig wird, weil
von den englischen Exportfirmen als den Hauptbestellern keine Dis-
positionen zu erlangen sind. In den Fabrikplätzen Reichenbach,
Retzschkau, Mylau, Greiz usw. liegen hunderte von Kisten
indischer Schals, die einen namhaften Wert repräsentieren, vorläufig
aber toter Vorratsstock geworrden sind. die von Hamburger Ex-
porteuren erteilten Schalsbestellungen sollten ebenfalls redressiert
oder annuliert werden, welchem Ansinnen die Fabrikanten-Vereini-
gung der vogtländischen Webereien aber ablehnend begegnet ist. Das
Geschäft mit dem übrigen neutralen Ausland, insbesondere nach den
nordischen Ländern, hat ebenfalls gelitten, wenn auch ver-
sucht worden ist, die erteilten Aufträge noch zu effektuieren, was auch
in den meisten Fällen noch gelungen ist.
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item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera - Greizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
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Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
Der
Export
im Textilgewerbe im allgemeinen und in der Gera-Greeizer
Branche im besonderen hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen -
wie könnte dies anders sein? - schwer gelitten, da keine Möglichkeit
besteht, die für transatlantische Länder bestimmten und bereits vor
3 - 4 Monaten bestellten Posten Waren noch verschiffen zu können. Die
seitens der Kundschaft in den Vereinigten Staaten erteilten
Bestellungen, soweit es sich dafür um die Lieferungstermine (Terms
of delivery) per 1. und 15. Juli sowie 1. August handelte, konnten
noch rechtzeitig verschifft werden, während die erst später lieferbaren
Aufträge zum Schaden der Fabrikanten zurückbehalten werden mußten.
Der geschäftliche Verkehr mit der Union ist bekanntlich zurzeit nur
über Holland und Italien möglich.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
___________________________________________________________________________________________________________________
1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiederaufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
_______________________________________________________________________
Verlosungsliste nicht transkribiert
2. Spalte
Infolge der wesentlich verringerten Produktion haben auch
Spinnereien und Färbereien
zu leiden, wenn auch die Lage der Spinnereien nicht in dem
Maße wie die der Webereien ungünstig angesehen werden kann,
weil beim Wiedraufleben des Geschäfts, das in absehbarer Zeit
wohl zu erwarten sein dürfte, zunächst große Quantitäten
Garne erforderlich sein werden. Allerdings dürfen wir einen
wichtigen Umstand nicht übersehen, daß nämlich die Vorräte in
Rohwolle, Kammzug und Kämmlingen in Deutschland be-
grenzt sind und daß diese durch Zufuhren aus England oder anderen
dafür in Betracht kommenden Ländern vorläufig nicht ergänzt werden
können. Verviers und Antwerpen, die in den Jahren des
Friedens mit Deutschland stets in lebhaften geschäftlichen Beziehungen
gestanden haben, besitzen freilich nach vorliegenden authentischen Mit-
teilungen noch große Vorräte, so daß wir bestimmt damit rechnen
können, diese Quantitäten für unsere deutschen Spinnereien nutzbar
zu machen.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
___________________________________________________________________________________________________________________
1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nicht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle hierauf bezüglichen
Bitten unberücksichtigt bleiben. Die Fabrikanten, die wirklich nur
aus patriotischen Gründen, um ihre Mitarbeiter vor Hunger zu schützen,
die Hälfte der Woche arbeiten lassen, befinden sich gegenwärtig in
einer wenig beneidenswerten Lage, und nur die Hoffnung auf den
endgültigen Sieg der deutschen Waffen über unsere Feinde läßt die
Fabrikanten gern weitere Opfer bringen.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
Inkasso
geht es nicht besser. Es ist eine jetzt nivht nur in der Textilindustrie,
sondern allgemein beobachtete Tatsache, daß trotz aller Ermah-
nungen die Regulierungsweise selbst seitens finanziell vorzüglich
situierter Firmen, die bisher außerordentlich prompt zu bezahlen
pflegten, sehr viel zu wünschen übrig läßt und alle
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
August-Versand.
Der Monat August pflegt sonst die größten Versandziffern von
den für die Herbst- und Wintersaison bestellten Waren aufzuweisen.
Heuer ist es angesichts des Krieges leider nur ein relativ kleiner
Prozentsatz der Besteller, die sich zur Abnahme der den Fabrikanten
rechtzeitig erteilten Aufträge verpflichtet fühlen. Allgemein
herrscht vielmehr das Verlangen,
die Absendung der bestellten Waren vorläufig und bis auf weiteres
zu inhibieren.
Dieses Verlangen hat sogar als Kennzeichen der ganzen geschäft-
lichen Signatur zu gelten, wenn es auch durch das allgemeine
Auftreten noch keine Berechtigung erlangt. Seitens der Han-
delskammern und zahlreicher anderer kaufmännischer Korpora-
tionen ist in öffentlichen Bekanntmachungen wiederholt verwiesen
worden, daß infolge des Kriegsausbruches ein Recht auf Annul-
lierung von Aufträgen keineswegs besteht und auch gesetz-
lich nicht begründet werden kann. Die im geschäftlichen Verkehr
mit deutschen Bestellern üblichen Gebräuche kennen, soweit es sich um
den Verkauf von Textilerzeugnissen handelt, auch nur die einfache
Auftragsbestätigung, in denen irgendwelche Bestimmungen, die das
Recht der Annullierung in sich schließen, nicht vorgebracht werden.
Aber die stockende Abnahme ist bei weitem nicht der einzige Miß-
stand der Kriegszeit. Mit dem
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Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
spektive. Für die
nächstjährige Frühjahrs- und Sommersaison
waren von den Webereien der Gera-Greizer und Glauchau-Meerauer
Branche Musterkollektionen in reicher Auswahl verschafft worden, die
alle die Artikel und Qualitäten enthalten, die der Moderichtung
für die nächstjährige Saison als Grundlage für die Neuschöpfungen
auf diesem Gebiete dienen sollten. Die Uni-Mode hatte, nach den
in den Kollektionen enthaltenen Artikeln zu urteilen, Aussicht, wieder
die Vorherrschaft vor allen anderen Erscheinungen zu gewinnen, wenn
auch bei der Vielseitigkeit der Kombination und Vielseitigkeit der
Musterung noch alle möglichen anderen Artikel berücksichtigt worden
sind. Den deutschen Grossisten sind bereits Anfang Juli
ein Teil der Sortimente vorgelegt worden, aber nach dem plötzlichen
Umschlag der Dinge konnten diese zunächst lediglich Informations-
zwecken dienen, wenn auch eine Anzahl Aufträge erteilt wurden.
-
item 27
Seite 26 Leipziger Neueste Nachrichten. Sonntag, den 20. September 1914
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1. Spalte
Textil-Industrie und Kriegszeit.
(Von unserem fachmännischen Sch.-Mitarbeiter.)
- Die Hauptbranche in unserem Bezirk Sachsen-Thüringen ist
bekanntlich die Bekleidungs-Industrie. Nur natürlich, daß auch
sie wie alle übrigen von der Schwere der Kriegszeit stark mit-
genommen wird. Wie anderwärts auch, geht es nicht minder hier,
daß nämlich Angebot und Nachfrage im Grunde nur noch
zwei problematische Begriffe sind, besonders natürlich die Nach-
frage. Die Betriebe sind schon froh, wenn sie ihr Personal 3-4
Tage pro Woche oder wenn voll mit verkürzter Arbeitszeit be-
schäftigen können.
Bei alledem trifft diese Geschäftsstockung das Textilgewerbe in
Sachsen-Thüringen umso unbehaglicher, als dieses ja voriges
Jahr im Sommer (vom Monat Mai bis Ende August etwa) schon eine
verfängliche Stagnation zu überstehen hatte, die erst mit Beginn des
Herbstes nachließ. Im September 1913 kam der Um- und Auf-
schwung. Durch den Eingang belangreicher Aufträge für die diesjäh-
rige Frühjahrs- und Sommersaison trat besagter Umschwung ein, der
in erfreulicher Weise bis kurz vor Kriegsausbruch anhielt und zu den
besten Hoffnungen betreffs lebhafter Beschäftigung für die nächste
Zukunft berechtigte. Während aber in früheren Geschäftsperioden
um jetzige Zeit die Fabrikanten von der Grossokundschaft
belangreiche Aufträge für die jeweilige Frühjahrs- und Sommer-
saison anzunehmen pflegten, die den Webereien sowie den damit
in engsten Zusammenhange stehenden Spinnereien und Fär-
bereien genügende Beschäftigung und dem Personal entsprechenden
Arbeitsverdienst gewährten, eröffnet sich diesmal nicht nur dem säch-
sisch-thüringischen Textilindustriebezirk, der alle der Greiz-
Geraer und Glauchau-Meerauer Branche angehörenden
Betriebe umfaßt, sondern mit verschwindend wenig Ausnahmen allen
Zweigen der deutschen Textilindustrie eine höchst unbehagliche Per-
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Berlin, Saalfeld, Leipzig
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Story location Berlin, Saalfeld, Leipzig
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- 15725 / 166539
- Contributor
- Karl Döbling
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