Feldpostbriefe und Feldpostkarten von Hauptmann Eugen Hahn aus Bösingen, item 113

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Die Aufzeichnungen wurden im Juli aus dem Gedächtnis nachgetragen, da im Juni keine Zeit

blieb.

2. Juni Kam mittags auf Gefechtsstand I.R.I21. trüber Tag. 2.Stellung bei Seen des Schlosses  Ηerenthage. Mittags Aulklärung. Art.feuer wird immer stärker. Oberstlt. Keller kommt mit

Hermann und Ottenbacher. Über Sturmstellung liegt dichte graugelbe Rauchwolke. Fürchter-

liches Getöse. 3Uhr 07 Sturm. Bald kommen die Meldungen über erreichte Linien und Ver-

luste. Letztere sind beträchtlich. Man ist doch ziemlich abgehärtet. „Lt. X gefallen!" „So?“ ist

die Antwort. Hermann bedauert besonders Noppers Tod. Die englischen Gefangenen kommen

etwa 4 Uhr nachmittags ohne Mützen, noch das Grauen im Blick, ganz verstört und gebückt.

Lauter Studenten, aber gut aussehende Kerls. Hart. Einer lässt sich die Hand verbinden ohne

zu zucken, die ganz zerfetzt ist. von unseren Leuten begafft. Ein Anderer von Flammenwer-

fern halb verbrannt, der Kerl sieht toll aus. Kein Wort der Klage. Der Arzt glaubt nicht, dass

er davon kommt. Der Nachmittag vergeht in allmählichem Kampf im Sack<?>wald. Im Un-

terstand einfaches Essen. Dauerndes Telefonieren. Fragen. Zeichnen. Abends 10 Uhr fahre ich

im Auto zurück nach Kolberg zum Komm.Gen., um über Stand zu berichten. Als ich wieder

vorfahre, grandioses Schauspiel. Unsere gesamte Artillerie liegt im Sperrfeuer gegen engli-

sche Gegenangriffe. Als ich an den Herenthage Park herankomme, steige ich aus. das feindli-

che Feuer wird stärker, ich gehe zu Fuß weiter, der ganze Horizont ist hell erleuchtet vom

Feuer der Geschosse und von Leuchtkugeln. Angriff abgeschlagen. 12 Uhr nachts wird es

ruhiger. 2 Uhr 30 morgens kolossale Kanonade. Art. und MG - Feuer, englischer Gegenan-

griff. Abgeschlagen. Das rollende Feuer wurde morgens etwas ruhiger. Sonne ging auf.

3.Juni Schöner Morgen. Ging mit Oberstlt. Keller und Hermann in vordere Stellung. Annähe-

rungswege ziemlich zerstört. Auf Sturmstellung lag noch solches Feuer, dass w ir einen zwei-

maligen Versuch, aus den Sappenköpfen zu kommen, unterließen. Im Graben vom sah es toll

aus. Erdmassen. Verwundete. Munition, alles lag auf dem Boden rum. Wenn ein Geschoss

kam. drückten wir uns an die Schulterwehren. Nach einem Dreckhagel war es vorbei. Als das

Feuer zunahm, warteten wir im Kommandeurunterstand das Weitere ab. Da saß Major Voller

mit rotem Kopf, heiser vor Schreien, der seit 30 Stunden die Hölle da vorn hatte, dabei eine

Reihe Musketiere, die lachten. Mittags Rückfahrt nach Wevelghem.

3 Juni Sackstellung <?>, Doppelhöhe und Höhe 59 waren genommen. Große Verluste. Das

Nähere enthalten die nach Hause geschickten Berichte. In der Nacht 3./4.6. fiel mein früherer Regimentsschreiber lllig. Am 4. nachmittags war ich bei der Beerdigung der in diesen Kämp-

fen' gefallenen Leute meines Regiments. Das sind eindrucksvolle Augenblicke. Ich fuhr im

Auto 5 Uhr nachmittags bei Sonnenschein, leichtem Wind hinaus über Gheluwe nach dem Regtsfriedhof Nachtigall. Kam gerade zurecht. Wunderschön gelegen. Am Waldrand, im üb-

rigen ein großes Ackerfeld. Etwa 50 offene Gräber waren da. Umsäumt von einer großen Zahl

von Soldaten und Offizieren. Die beiden Geistlichen sprachen, nichts Außergewöhnliches.

Dann spielte die Musik: Ich halt einen Kameraden. Ich werde das Lied nie mehr anders hören

können, wie von Kanonendonner begleitet, von vom. wo die Kameraden weiterkämpften.

Und hier Stille und Trauer. Dann trat Major Völter.121. vor zwischen die Gräber und hielt

den toten Kameraden die Abschiedsrede, das schönste, was ich je hörte. So kann nur noch im

Altertum in Rom. wenn die gefallenen Helden auf dem Kapitol aufgebahrt w aren, gesprochen

worden sein: „Lebt wohl. Ihr tapferen Kameraden. Wir Männer von der Schlacht von gestern,

bringen Euch, unsern tapferen Genossen den Abschiedsgruß, des Vaterlandes Dank. Ihr habt

Treue gehalten. Besonders Du. Leutnant Witzig, von der Masch.Gew.Komp.. Du Tapferster

von Allen, der Du allein in grausiger Nachtschlacht, umtost von Granaten standhieltest. Dein Maschinengewehr bedientest, nachdem alle anderen gefallen waren, der Du die anstürmenden Engländer niedermähtest, dass ihr Angriff stockte, bis die Kugel auch Deine treue Brust

durchbohrte. Und wer den Tod in heißem Kampfe fand, schläft auch in fremder Erde im Va-

terland." Worte des Trotzes, jetzt erst recht nicht nachzugeben, bis die Tapfern gerächt sind.


                                                                                                                                                               112

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Die Aufzeichnungen wurden im Juli aus dem Gedächtnis nachgetragen, da im Juni keine Zeit

blieb.

2. Juni Kam mittags auf Gefechtsstand I.R.I21. trüber Tag. 2.Stellung bei Seen des Schlosses  Ηerenthage. Mittags Aulklärung. Art.feuer wird immer stärker. Oberstlt. Keller kommt mit

Hermann und Ottenbacher. Über Sturmstellung liegt dichte graugelbe Rauchwolke. Fürchter-

liches Getöse. 3Uhr 07 Sturm. Bald kommen die Meldungen über erreichte Linien und Ver-

luste. Letztere sind beträchtlich. Man ist doch ziemlich abgehärtet. „Lt. X gefallen!" „So?“ ist

die Antwort. Hermann bedauert besonders Noppers Tod. Die englischen Gefangenen kommen

etwa 4 Uhr nachmittags ohne Mützen, noch das Grauen im Blick, ganz verstört und gebückt.

Lauter Studenten, aber gut aussehende Kerls. Hart. Einer lässt sich die Hand verbinden ohne

zu zucken, die ganz zerfetzt ist. von unseren Leuten begafft. Ein Anderer von Flammenwer-

fern halb verbrannt, der Kerl sieht toll aus. Kein Wort der Klage. Der Arzt glaubt nicht, dass

er davon kommt. Der Nachmittag vergeht in allmählichem Kampf im Sack<?>wald. Im Un-

terstand einfaches Essen. Dauerndes Telefonieren. Fragen. Zeichnen. Abends 10 Uhr fahre ich

im Auto zurück nach Kolberg zum Komm.Gen., um über Stand zu berichten. Als ich wieder

vorfahre, grandioses Schauspiel. Unsere gesamte Artillerie liegt im Sperrfeuer gegen engli-

sche Gegenangriffe. Als ich an den Herenthage Park herankomme, steige ich aus. das feindli-

che Feuer wird stärker, ich gehe zu Fuß weiter, der ganze Horizont ist hell erleuchtet vom

Feuer der Geschosse und von Leuchtkugeln. Angriff abgeschlagen. 12 Uhr nachts wird es

ruhiger. 2 Uhr 30 morgens kolossale Kanonade. Art. und MG - Feuer, englischer Gegenan-

griff. Abgeschlagen. Das rollende Feuer wurde morgens etwas ruhiger. Sonne ging auf.

3.Juni Schöner Morgen. Ging mit Oberstlt. Keller und Hermann in vordere Stellung. Annähe-

rungswege ziemlich zerstört. Auf Sturmstellung lag noch solches Feuer, dass w ir einen zwei-

maligen Versuch, aus den Sappenköpfen zu kommen, unterließen. Im Graben vom sah es toll

aus. Erdmassen. Verwundete. Munition, alles lag auf dem Boden rum. Wenn ein Geschoss

kam. drückten wir uns an die Schulterwehren. Nach einem Dreckhagel war es vorbei. Als das

Feuer zunahm, warteten wir im Kommandeurunterstand das Weitere ab. Da saß Major Voller

mit rotem Kopf, heiser vor Schreien, der seit 30 Stunden die Hölle da vorn hatte, dabei eine

Reihe Musketiere, die lachten. Mittags Rückfahrt nach Wevelghem.

3 Juni Sackstellung <?>, Doppelhöhe und Höhe 59 waren genommen. Große Verluste. Das

Nähere enthalten die nach Hause geschickten Berichte. In der Nacht 3./4.6. fiel mein früherer Regimentsschreiber lllig. Am 4. nachmittags war ich bei der Beerdigung der in diesen Kämp-

fen' gefallenen Leute meines Regiments. Das sind eindrucksvolle Augenblicke. Ich fuhr im

Auto 5 Uhr nachmittags bei Sonnenschein, leichtem Wind hinaus über Gheluwe nach dem Regtsfriedhof Nachtigall. Kam gerade zurecht. Wunderschön gelegen. Am Waldrand, im üb-

rigen ein großes Ackerfeld. Etwa 50 offene Gräber waren da. Umsäumt von einer großen Zahl

von Soldaten und Offizieren. Die beiden Geistlichen sprachen, nichts Außergewöhnliches.

Dann spielte die Musik: Ich halt einen Kameraden. Ich werde das Lied nie mehr anders hören

können, wie von Kanonendonner begleitet, von vom. wo die Kameraden weiterkämpften.

Und hier Stille und Trauer. Dann trat Major Völter.121. vor zwischen die Gräber und hielt

den toten Kameraden die Abschiedsrede, das schönste, was ich je hörte. So kann nur noch im

Altertum in Rom. wenn die gefallenen Helden auf dem Kapitol aufgebahrt w aren, gesprochen

worden sein: „Lebt wohl. Ihr tapferen Kameraden. Wir Männer von der Schlacht von gestern,

bringen Euch, unsern tapferen Genossen den Abschiedsgruß, des Vaterlandes Dank. Ihr habt

Treue gehalten. Besonders Du. Leutnant Witzig, von der Masch.Gew.Komp.. Du Tapferster

von Allen, der Du allein in grausiger Nachtschlacht, umtost von Granaten standhieltest. Dein Maschinengewehr bedientest, nachdem alle anderen gefallen waren, der Du die anstürmenden Engländer niedermähtest, dass ihr Angriff stockte, bis die Kugel auch Deine treue Brust

durchbohrte. Und wer den Tod in heißem Kampfe fand, schläft auch in fremder Erde im Va-

terland." Worte des Trotzes, jetzt erst recht nicht nachzugeben, bis die Tapfern gerächt sind.


                                                                                                                                                               112


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  • November 1, 2018 13:00:55 Anastasia Ioannou

    Die Aufzeichnungen wurden im Juli aus dem Gedächtnis nachgetragen, da im Juni keine Zeit

    blieb.

    2. Juni Kam mittags auf Gefechtsstand I.R.I21. trüber Tag. 2.Stellung bei Seen des Schlosses  Ηerenthage. Mittags Aulklärung. Art.feuer wird immer stärker. Oberstlt. Keller kommt mit

    Hermann und Ottenbacher. Über Sturmstellung liegt dichte graugelbe Rauchwolke. Fürchter-

    liches Getöse. 3Uhr 07 Sturm. Bald kommen die Meldungen über erreichte Linien und Ver-

    luste. Letztere sind beträchtlich. Man ist doch ziemlich abgehärtet. „Lt. X gefallen!" „So?“ ist

    die Antwort. Hermann bedauert besonders Noppers Tod. Die englischen Gefangenen kommen

    etwa 4 Uhr nachmittags ohne Mützen, noch das Grauen im Blick, ganz verstört und gebückt.

    Lauter Studenten, aber gut aussehende Kerls. Hart. Einer lässt sich die Hand verbinden ohne

    zu zucken, die ganz zerfetzt ist. von unseren Leuten begafft. Ein Anderer von Flammenwer-

    fern halb verbrannt, der Kerl sieht toll aus. Kein Wort der Klage. Der Arzt glaubt nicht, dass

    er davon kommt. Der Nachmittag vergeht in allmählichem Kampf im Sack<?>wald. Im Un-

    terstand einfaches Essen. Dauerndes Telefonieren. Fragen. Zeichnen. Abends 10 Uhr fahre ich

    im Auto zurück nach Kolberg zum Komm.Gen., um über Stand zu berichten. Als ich wieder

    vorfahre, grandioses Schauspiel. Unsere gesamte Artillerie liegt im Sperrfeuer gegen engli-

    sche Gegenangriffe. Als ich an den Herenthage Park herankomme, steige ich aus. das feindli-

    che Feuer wird stärker, ich gehe zu Fuß weiter, der ganze Horizont ist hell erleuchtet vom

    Feuer der Geschosse und von Leuchtkugeln. Angriff abgeschlagen. 12 Uhr nachts wird es

    ruhiger. 2 Uhr 30 morgens kolossale Kanonade. Art. und MG - Feuer, englischer Gegenan-

    griff. Abgeschlagen. Das rollende Feuer wurde morgens etwas ruhiger. Sonne ging auf.

    3.Juni Schöner Morgen. Ging mit Oberstlt. Keller und Hermann in vordere Stellung. Annähe-

    rungswege ziemlich zerstört. Auf Sturmstellung lag noch solches Feuer, dass w ir einen zwei-

    maligen Versuch, aus den Sappenköpfen zu kommen, unterließen. Im Graben vom sah es toll

    aus. Erdmassen. Verwundete. Munition, alles lag auf dem Boden rum. Wenn ein Geschoss

    kam. drückten wir uns an die Schulterwehren. Nach einem Dreckhagel war es vorbei. Als das

    Feuer zunahm, warteten wir im Kommandeurunterstand das Weitere ab. Da saß Major Voller

    mit rotem Kopf, heiser vor Schreien, der seit 30 Stunden die Hölle da vorn hatte, dabei eine

    Reihe Musketiere, die lachten. Mittags Rückfahrt nach Wevelghem.

    3 Juni Sackstellung <?>, Doppelhöhe und Höhe 59 waren genommen. Große Verluste. Das

    Nähere enthalten die nach Hause geschickten Berichte. In der Nacht 3./4.6. fiel mein früherer Regimentsschreiber lllig. Am 4. nachmittags war ich bei der Beerdigung der in diesen Kämp-

    fen' gefallenen Leute meines Regiments. Das sind eindrucksvolle Augenblicke. Ich fuhr im

    Auto 5 Uhr nachmittags bei Sonnenschein, leichtem Wind hinaus über Gheluwe nach dem Regtsfriedhof Nachtigall. Kam gerade zurecht. Wunderschön gelegen. Am Waldrand, im üb-

    rigen ein großes Ackerfeld. Etwa 50 offene Gräber waren da. Umsäumt von einer großen Zahl

    von Soldaten und Offizieren. Die beiden Geistlichen sprachen, nichts Außergewöhnliches.

    Dann spielte die Musik: Ich halt einen Kameraden. Ich werde das Lied nie mehr anders hören

    können, wie von Kanonendonner begleitet, von vom. wo die Kameraden weiterkämpften.

    Und hier Stille und Trauer. Dann trat Major Völter.121. vor zwischen die Gräber und hielt

    den toten Kameraden die Abschiedsrede, das schönste, was ich je hörte. So kann nur noch im

    Altertum in Rom. wenn die gefallenen Helden auf dem Kapitol aufgebahrt w aren, gesprochen

    worden sein: „Lebt wohl. Ihr tapferen Kameraden. Wir Männer von der Schlacht von gestern,

    bringen Euch, unsern tapferen Genossen den Abschiedsgruß, des Vaterlandes Dank. Ihr habt

    Treue gehalten. Besonders Du. Leutnant Witzig, von der Masch.Gew.Komp.. Du Tapferster

    von Allen, der Du allein in grausiger Nachtschlacht, umtost von Granaten standhieltest. Dein Maschinengewehr bedientest, nachdem alle anderen gefallen waren, der Du die anstürmenden Engländer niedermähtest, dass ihr Angriff stockte, bis die Kugel auch Deine treue Brust

    durchbohrte. Und wer den Tod in heißem Kampfe fand, schläft auch in fremder Erde im Va-

    terland." Worte des Trotzes, jetzt erst recht nicht nachzugeben, bis die Tapfern gerächt sind.


                                                                                                                                                                   112


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6555 / 78006
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Sibylle Schreiber
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