Kriegsgefangenen-Zeitschrift aus Ripon / Yorkshire, item 18
Transcription
Transcription history
-
item 18
linke Seite
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillernden
Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig verwahrt.
Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergoldeten
Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen. -
Ja, wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelgewächs
von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewerbes
zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weihnachtsbaum
die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihrem empfänglichen Gemüt einprägt,
zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
rechte Seite
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo immer
sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an diesem
kerndeutschen Feste erscheinen! - Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn es auch nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht. -
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzurichten
pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz, das, mit Wasser angerührt, mit der Hand dick auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Last des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzenden,
funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
naturgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie liebgewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man's ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ernste
Natürlichkeit besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die allzu sehr
denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
Zierleiste siehe oben
-
item 18
linke Seite
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillernden
Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig verwahrt.
Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergoldeten
Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen. -
Ja, wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelgewächs
von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewerbes
zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weihnachtsbaum
die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihrem empfänglichen Gemüt einprägt,
zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
rechte Seite
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo immer
sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an diesem
kerndeutschen Feste erscheinen! - Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn es auch nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht. -
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzurichten
pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz, das, mit Wasser angerührt, mit der Hand dick auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Last des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzenden,
funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
naturgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie liebgewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man's ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ernste
Natürlichkeit besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die allzusehr
denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
Zierleiste siehe oben
-
item 18
linke Seite
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillernden
Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig verwahrt.
Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergoldeten
Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen. -
Ja, wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelgewächs
von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewerbes
zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weihnachtsbaum
die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihrem empfänglichen Gemüt einprägt,
zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
rechte Seite
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo immer
sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an diesem
kerndeutschen Feste erscheinen! - Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn aus nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht. -
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzurichten
pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz, das, mit Wasser angerührt, mit der Hand dick auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Last des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzenden,
funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
naturgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie liebgewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man's ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ernste
Natürlichkiet besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die allzusehr
denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
-
linke Seite
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillernden
Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig verwahrt.
Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergoldeten
Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen.
Ja, wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelgewächs
von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewerbes
zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weihnachtsbaum
die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihrem empfänglichen Gemüt einprägt,
zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
rechte Seite
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo immer
sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an diesem
kerndeutschen Feste erscheinen! - Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn aus nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht. -
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzurichten
pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz, das, mit Wasser angerührt, mit der Hand dick auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Last des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzenden,
funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
naturgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie liebgewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man's ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ernste
Natürlichkiet besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die allzusehr
denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
-
linke Seite
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillernden
Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig verwahrt.
Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergoldeten
Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen.
Ja, wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelgewächs
von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewerbes
zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weihnachtsbaum
die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihrem empfänglichen Gemüt einprägt,
zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
rechte Seite
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo immer
sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an die-
sem kerndeutschen Feste erscheinen! Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn aus nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht.
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzu-
richten pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz das, mit Wasser angerührt, mit der Hand direkt auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Lase des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzen-
den, funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
natürgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie lieb gewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man´s ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ern-
ste Natürlichkiet besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die all-
zusehr denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
-
Doch tiefer hinein in die Kiste! Es entsteigt ihr der Weihnachtsmann
oder es sind gleich mehrere - denn es gibt ihn in abertausend Varianten, die
einander an [wohlverstanden: künstlerischer] Hässlichkeit überbieten.
Es erscheint der eigentliche Baumschmuck: die Schar der Engel, buntpappene
flache oder plastische Ballettpüppchen aus Wachs oder Porzellan mit schillern-
den Schmetterlingsflügeln, ihre Nacktheit hinter Gazeschleiern schämig ver
wahrt. Dann kommen zu Hauf die goldenen Sterne und Kugeln, und in welcher
Form sonst noch all der Firlefanz auftritt, Unmassen von Watteschnee, Lametta
- ein jeder wird diese Aufzählung aus eigener Erfahrung vervollständigen können.
Mit alledem soll also der arme Baum behängt und umstellt werden?
frage ich entsetzt - Ja, natürlich, und mit vielem Essbaren dazu, mit vergol-
deten Äpfeln und Nüssen, mit Marzipanschweinchen und Schokoladenmännchen.
Ja wird denn das nicht furchtbar bunt? wird man am Ende unter all
dem marktschreierischen Glitzern und Funkeln das nadelstarrende Edelge-
wächs von den Höhen des Harzes oder des Schwarzwaldes auch wiedererkennen? -
bunt, gewiss; je bunter, desto schöner, wir haben das immer so gehabt, und unsre
Kinder wollen es auch so; deren Wille ist uns in diesem Falle das allein Massgebende.
So mögen selbst solche Eltern antworten, die an sich ganz vernünftig sind
und den guten Geschmack in Pacht zu haben glauben, auf deren Gabentisch
wirklich gute Bücher und gediegene Erzeugnisse des neudeutschen Kunstgewer-
bes zu finden sind. - Törichte Eltern! Statt dass ihr euren Kindern unterm Weih-
nachtsbaum die ersten künstlerischen Eindrücke bietet und so an der Wurzel helft,
ihren Geschmack zu bilden, da vergiftet ihr lieber ihren gesunden Sinn mit diesen
unseligen Greueldingen, und warum? - weil ihr es auch nicht anders gehabt
habt, als ihr Kinder wart und aus falscher Sentimalität vom Hergebrachten
nicht loskommen könnt.
Denkt doch einmal nach! Wie leicht mag es geschehen, dass eure Kinder das,
was sich im Zeichen des Weihanchtsbaumes tief ihren empfänglichen Gemüt ein-
prägt, zum Mass alles Schönen machen, und dass sie spät oder nie von diesen
[next page]
frühen Eindrücken frei werden.
Darum fort mit diesem Tand, fort mit diesen Resten von Barbarei, die, wo im-
mer sie herstammen mögen, wie wesensfremde, entstellende Zutaten an die-
sem kerndeutschen Feste erscheinen! Und was als Ersatz? gibt es denn Besseres?
- Sicherlich, man muss es nur haben wollen und zu finden wissen. Und
wenn aus nichts Besseres gäbe, dann wirkt der Baum in seiner einfachen
Urgestalt immer noch unendlich viel schöner als in dieser Fastnachtstracht.
Doch ich möchte nicht schliessen, ohne wenigstens auch einen positiven
Beitrag, so bescheiden er sein mag, zur Frage des Baumschmuckes zu liefern;
ich will ganz einfach erzählen, wie wir daheim den Baum weihnachtlich herzu-
richten pflegen. Wir beladen ihn, der genau Zimmerhöhe hat, mit 30-40 Pfd.
Salz das, mit Wasser angerührt, mit der Hand direkt auf jeden einzelnen
Zweig aufgetragen wird und tadellos hält. Unter der Lase des nassen Salzes
nun neigen und entfalten sich die Zweige in ihrer ganzen Pracht; dazu viel
Kerzen, nichts wie Kerzen, die ihr Licht über einen unter Schneemassen ächzen-
den, funkelnden Baum aus dem winterlichen Walde ergiessen.... Aber ob nun
natürgetreu oder nicht, er sieht auf jeden Fall wunderbar aus.
Was werden aber die Kinder sagen, wenn der buntüberladene Schmuck, den
sie lieb gewonnen haben, plötzlich ausbleibt und wenn sie am Baum nicht
mehr naschen können? - Sie mögen all das im ersten Augenblick vermissen,
aber es bald und gern begreifen, wenn man´s ihnen nur ruhig erklärt,
dass nämlich dem deutschen Hause und dem deutschen Feste einfache, ern-
ste Natürlichkiet besser ansteht als Gebräuche zu pflegen, die all-
zusehr denen wilder Völkerschaften ähneln.
Burkhard Meier
Description
Save description- 54.1387805||-1.5242118||||1
Ripon / Yorkshire (Groß-Britannien)
Location(s)
Story location Ripon / Yorkshire (Groß-Britannien)
- ID
- 1342 / 12580
- Contributor
- Elke und Rainer Kruse
Aug, 1919
Login to edit the languages
- Deutsch
Login to edit the fronts
- Naval Warfare
- Western Front
Login to add keywords
- Magazine
- Prisoners of War
Login to leave a note