Feldpostbriefe und Feldpostkarten von Hauptmann Eugen Hahn aus Bösingen, item 122

Edit transcription:
...
Transcription saved
Enhance your transcribing experience by using full-screen mode

Transcription

You have to be logged in to transcribe. Please login or register and click the pencil-button again

19.3.17 Liehe Eltern und Geschwister! Seit gestern sind wir nun in Ruhe zurückgezogen. Unser Div.St.Qu. ist ein kleines Städtchen Quievy - 3000 Einwohner - zwischen Cambrai und Solesmes. Ich hin im Hause des Bürgermeisters sehr gut untergebracht, gutes Bett, elektrisches Licht. Luftheizung, so dass wir nun endlich nach 3 1/2 Monaten wieder in menschliche Umgebung gekommen sind. Das Ort hier ist sauber und freundlich, doch stark mit Truppen überbelegt und Evakuierten aus den nun verlassenen Stellungsgebieten. - Die letzten 6 Wochen sind wohl die schwierigsten, die ich erlebt habe. Ich schrieb Euch ja schon ich kann jenen Brief damals als den ersten Teil bezeichnen. Es war die Zeit nach meiner Rückkehr von zu Hause: die Nachricht von der Wegnahme eines Teiles der Stellung, all die Verhandlungen und Erwägungen, bis endlich an einem Abend einer der entscheidenden Stützpunkte wieder genommen wurde. Von da ab hielt der Feind völlige Ruhe bis zum letzten Tag. Er unternahm rein gar nichts und war infanteristisch ebenso untätig wie artilleristisch. Dann kamen die großen Vorbereitungen für unseren Rückmarsch. Die strategische Operation, die in den letzten Tagen durchgefuhrt wurde, wird als eine der schwierigsten gelten müssen von allen Schachzügen. die wir von Hindenburg kennen. Es hat sich darum gehandelt, eine in schwere Schlacht verstrickte breite Front zweier Armeen vom Gegner ohne Verluste allmählich so loszulösen, dass das Heer unbehelligt zurück kommt und die Freiheit weiteren Handelns gewinnt. Das letzte Jahr hat an der Somme gezeigt, dass unser Menschenmaterial in ungleichem Kampf mit der unermesslichen Fülle feindlichen Kriegsgeräts ist. Diesem Zustand musste fur heuer vorgebeugt werden. Der Gegner hatte alle Vorbereitungen getroffen, die Sommeschlacht wieder von neuem zu beginnen. Ungeheure Munitionsvorräte waren aulge-stapelt. zahlreiche Bahnen waren gebaut. Der U-Bootkrieg forderte die Engländer zu baldigem Handeln heraus. Die Angriffe im Ancretal. bei Translay und Bouchavernes <?> waren die Einleitungen gewesen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den zum Schlage bereiten Gegner sitzen zu lassen und alle seine Vorbereitungen auf längere Zeit lahm zu legen. Die rückwärtigen Bewegungen wurden bis auf die letzte Einzelheit vorbereitet. Die große neue befestigte Linie, von deren Wichtigkeit ja alle Zeitungen voll sind, war allmählich fertig geworden. Nun konnte begonnen werden, die Truppen allmählich zurück zu nehmen. Meine Division war die letzte, die noch am Abzugstag am Feinde stand, die ändern hatten alle weiter rückwärts gelegene Stellungen bezogen - es war eine kritische Situation. Aber die Engländer nützten sie nicht aus. Schon da zeigte sich im Kleinen ihre Unterlegenheit in der Führung. Ihre Spezialität, auf die sic eingeschult sind, ist der Stellungskampf im Westen. Sobald sie großen, neuen Lagen gegenüberstehen, fehlt ihnen rasche Initiative. So ließen sie uns gänzlich ungestört vorn. Aber ich war froh, als auch für uns die Stunde gekommen, uns loszulösen und abzubauen. Inzwischen hatten wir schon längst alle Einwohner abgeschoben. Die Dörfer waren leer. Nun begann eine menschlich unerfreuliche, militärisch notwendige Arbeit: Die Zerstörung des gesamten Landes, das wir verließen. Als im Herbst 1914 die deutsche Ostarmee nahezu bis nach Schlesien zurückmusste, hat Ludendorff durch das hier wiederholte System dem Gegner unschätzbaren Schaden und Aufenthalt bereitet. So wurde es auch hier gemacht: kein Stein blieb auf dem ändern, sämtliche Brunnen sind zerstört, die Strassen aufgerissen, wo früher Städte und Dörfer standen, blieben rauchende Trümmer, gesprengte Häuser. Dem kleinen Dörfchen, in dem wir die Monate gesessen waren, habe ich es ausbedungen, dass es erst zerstört wird, wenn wir fort sind, ich mochte nicht in dieser hässlichen Umgebung sitzen. Die Zerstörungen verliefen planmäßig. Das gesamte reiche Gerät des Landes war vorher mit vielen Eisenbahnzügen fortgeführt worden. Die wirklich beinahe bis an die Grenze des Möglichen gehende geleistete Arbeit machte sich bezahlt. Es klappte alles gut - keine Unstimmigkeit kein Zweifel. Die Einzelheiten auseinanderzusetzen, ist nicht möglich, weil es doch militärische Voraussetzungen fordert, aber die Tatsache, dass alle Bewegungen bei Nacht auf schlechtesten Strassen geleistet wurden, geben einen ungefähren Anhalt. Die Truppe hat sich ganz hervorragend gehalten, besonders die Infanterie ist über jedes Lob erhaben. Was der
121

Transcription saved

19.3.17 Liehe Eltern und Geschwister! Seit gestern sind wir nun in Ruhe zurückgezogen. Unser Div.St.Qu. ist ein kleines Städtchen Quievy - 3000 Einwohner - zwischen Cambrai und Solesmes. Ich hin im Hause des Bürgermeisters sehr gut untergebracht, gutes Bett, elektrisches Licht. Luftheizung, so dass wir nun endlich nach 3 1/2 Monaten wieder in menschliche Umgebung gekommen sind. Das Ort hier ist sauber und freundlich, doch stark mit Truppen überbelegt und Evakuierten aus den nun verlassenen Stellungsgebieten. - Die letzten 6 Wochen sind wohl die schwierigsten, die ich erlebt habe. Ich schrieb Euch ja schon ich kann jenen Brief damals als den ersten Teil bezeichnen. Es war die Zeit nach meiner Rückkehr von zu Hause: die Nachricht von der Wegnahme eines Teiles der Stellung, all die Verhandlungen und Erwägungen, bis endlich an einem Abend einer der entscheidenden Stützpunkte wieder genommen wurde. Von da ab hielt der Feind völlige Ruhe bis zum letzten Tag. Er unternahm rein gar nichts und war infanteristisch ebenso untätig wie artilleristisch. Dann kamen die großen Vorbereitungen für unseren Rückmarsch. Die strategische Operation, die in den letzten Tagen durchgefuhrt wurde, wird als eine der schwierigsten gelten müssen von allen Schachzügen. die wir von Hindenburg kennen. Es hat sich darum gehandelt, eine in schwere Schlacht verstrickte breite Front zweier Armeen vom Gegner ohne Verluste allmählich so loszulösen, dass das Heer unbehelligt zurück kommt und die Freiheit weiteren Handelns gewinnt. Das letzte Jahr hat an der Somme gezeigt, dass unser Menschenmaterial in ungleichem Kampf mit der unermesslichen Fülle feindlichen Kriegsgeräts ist. Diesem Zustand musste fur heuer vorgebeugt werden. Der Gegner hatte alle Vorbereitungen getroffen, die Sommeschlacht wieder von neuem zu beginnen. Ungeheure Munitionsvorräte waren aulge-stapelt. zahlreiche Bahnen waren gebaut. Der U-Bootkrieg forderte die Engländer zu baldigem Handeln heraus. Die Angriffe im Ancretal. bei Translay und Bouchavernes <?> waren die Einleitungen gewesen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den zum Schlage bereiten Gegner sitzen zu lassen und alle seine Vorbereitungen auf längere Zeit lahm zu legen. Die rückwärtigen Bewegungen wurden bis auf die letzte Einzelheit vorbereitet. Die große neue befestigte Linie, von deren Wichtigkeit ja alle Zeitungen voll sind, war allmählich fertig geworden. Nun konnte begonnen werden, die Truppen allmählich zurück zu nehmen. Meine Division war die letzte, die noch am Abzugstag am Feinde stand, die ändern hatten alle weiter rückwärts gelegene Stellungen bezogen - es war eine kritische Situation. Aber die Engländer nützten sie nicht aus. Schon da zeigte sich im Kleinen ihre Unterlegenheit in der Führung. Ihre Spezialität, auf die sic eingeschult sind, ist der Stellungskampf im Westen. Sobald sie großen, neuen Lagen gegenüberstehen, fehlt ihnen rasche Initiative. So ließen sie uns gänzlich ungestört vorn. Aber ich war froh, als auch für uns die Stunde gekommen, uns loszulösen und abzubauen. Inzwischen hatten wir schon längst alle Einwohner abgeschoben. Die Dörfer waren leer. Nun begann eine menschlich unerfreuliche, militärisch notwendige Arbeit: Die Zerstörung des gesamten Landes, das wir verließen. Als im Herbst 1914 die deutsche Ostarmee nahezu bis nach Schlesien zurückmusste, hat Ludendorff durch das hier wiederholte System dem Gegner unschätzbaren Schaden und Aufenthalt bereitet. So wurde es auch hier gemacht: kein Stein blieb auf dem ändern, sämtliche Brunnen sind zerstört, die Strassen aufgerissen, wo früher Städte und Dörfer standen, blieben rauchende Trümmer, gesprengte Häuser. Dem kleinen Dörfchen, in dem wir die Monate gesessen waren, habe ich es ausbedungen, dass es erst zerstört wird, wenn wir fort sind, ich mochte nicht in dieser hässlichen Umgebung sitzen. Die Zerstörungen verliefen planmäßig. Das gesamte reiche Gerät des Landes war vorher mit vielen Eisenbahnzügen fortgeführt worden. Die wirklich beinahe bis an die Grenze des Möglichen gehende geleistete Arbeit machte sich bezahlt. Es klappte alles gut - keine Unstimmigkeit kein Zweifel. Die Einzelheiten auseinanderzusetzen, ist nicht möglich, weil es doch militärische Voraussetzungen fordert, aber die Tatsache, dass alle Bewegungen bei Nacht auf schlechtesten Strassen geleistet wurden, geben einen ungefähren Anhalt. Die Truppe hat sich ganz hervorragend gehalten, besonders die Infanterie ist über jedes Lob erhaben. Was der
121


Transcription history
  • November 2, 2018 06:27:30 Zafiro Marti

    19.3.17 Liehe Eltern und Geschwister! Seit gestern sind wir nun in Ruhe zurückgezogen. Unser Div.St.Qu. ist ein kleines Städtchen Quievy - 3000 Einwohner - zwischen Cambrai und Solesmes. Ich hin im Hause des Bürgermeisters sehr gut untergebracht, gutes Bett, elektrisches Licht. Luftheizung, so dass wir nun endlich nach 3 1/2 Monaten wieder in menschliche Umgebung gekommen sind. Das Ort hier ist sauber und freundlich, doch stark mit Truppen überbelegt und Evakuierten aus den nun verlassenen Stellungsgebieten. - Die letzten 6 Wochen sind wohl die schwierigsten, die ich erlebt habe. Ich schrieb Euch ja schon ich kann jenen Brief damals als den ersten Teil bezeichnen. Es war die Zeit nach meiner Rückkehr von zu Hause: die Nachricht von der Wegnahme eines Teiles der Stellung, all die Verhandlungen und Erwägungen, bis endlich an einem Abend einer der entscheidenden Stützpunkte wieder genommen wurde. Von da ab hielt der Feind völlige Ruhe bis zum letzten Tag. Er unternahm rein gar nichts und war infanteristisch ebenso untätig wie artilleristisch. Dann kamen die großen Vorbereitungen für unseren Rückmarsch. Die strategische Operation, die in den letzten Tagen durchgefuhrt wurde, wird als eine der schwierigsten gelten müssen von allen Schachzügen. die wir von Hindenburg kennen. Es hat sich darum gehandelt, eine in schwere Schlacht verstrickte breite Front zweier Armeen vom Gegner ohne Verluste allmählich so loszulösen, dass das Heer unbehelligt zurück kommt und die Freiheit weiteren Handelns gewinnt. Das letzte Jahr hat an der Somme gezeigt, dass unser Menschenmaterial in ungleichem Kampf mit der unermesslichen Fülle feindlichen Kriegsgeräts ist. Diesem Zustand musste fur heuer vorgebeugt werden. Der Gegner hatte alle Vorbereitungen getroffen, die Sommeschlacht wieder von neuem zu beginnen. Ungeheure Munitionsvorräte waren aulge-stapelt. zahlreiche Bahnen waren gebaut. Der U-Bootkrieg forderte die Engländer zu baldigem Handeln heraus. Die Angriffe im Ancretal. bei Translay und Bouchavernes <?> waren die Einleitungen gewesen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den zum Schlage bereiten Gegner sitzen zu lassen und alle seine Vorbereitungen auf längere Zeit lahm zu legen. Die rückwärtigen Bewegungen wurden bis auf die letzte Einzelheit vorbereitet. Die große neue befestigte Linie, von deren Wichtigkeit ja alle Zeitungen voll sind, war allmählich fertig geworden. Nun konnte begonnen werden, die Truppen allmählich zurück zu nehmen. Meine Division war die letzte, die noch am Abzugstag am Feinde stand, die ändern hatten alle weiter rückwärts gelegene Stellungen bezogen - es war eine kritische Situation. Aber die Engländer nützten sie nicht aus. Schon da zeigte sich im Kleinen ihre Unterlegenheit in der Führung. Ihre Spezialität, auf die sic eingeschult sind, ist der Stellungskampf im Westen. Sobald sie großen, neuen Lagen gegenüberstehen, fehlt ihnen rasche Initiative. So ließen sie uns gänzlich ungestört vorn. Aber ich war froh, als auch für uns die Stunde gekommen, uns loszulösen und abzubauen. Inzwischen hatten wir schon längst alle Einwohner abgeschoben. Die Dörfer waren leer. Nun begann eine menschlich unerfreuliche, militärisch notwendige Arbeit: Die Zerstörung des gesamten Landes, das wir verließen. Als im Herbst 1914 die deutsche Ostarmee nahezu bis nach Schlesien zurückmusste, hat Ludendorff durch das hier wiederholte System dem Gegner unschätzbaren Schaden und Aufenthalt bereitet. So wurde es auch hier gemacht: kein Stein blieb auf dem ändern, sämtliche Brunnen sind zerstört, die Strassen aufgerissen, wo früher Städte und Dörfer standen, blieben rauchende Trümmer, gesprengte Häuser. Dem kleinen Dörfchen, in dem wir die Monate gesessen waren, habe ich es ausbedungen, dass es erst zerstört wird, wenn wir fort sind, ich mochte nicht in dieser hässlichen Umgebung sitzen. Die Zerstörungen verliefen planmäßig. Das gesamte reiche Gerät des Landes war vorher mit vielen Eisenbahnzügen fortgeführt worden. Die wirklich beinahe bis an die Grenze des Möglichen gehende geleistete Arbeit machte sich bezahlt. Es klappte alles gut - keine Unstimmigkeit kein Zweifel. Die Einzelheiten auseinanderzusetzen, ist nicht möglich, weil es doch militärische Voraussetzungen fordert, aber die Tatsache, dass alle Bewegungen bei Nacht auf schlechtesten Strassen geleistet wurden, geben einen ungefähren Anhalt. Die Truppe hat sich ganz hervorragend gehalten, besonders die Infanterie ist über jedes Lob erhaben. Was der
    121


Description

Save description
  • 48.2386002||8.558508500000016||

    Bösingen

    ||1
Location(s)
  • Story location Bösingen
Login and add location


ID
6555 / 78015
Source
http://europeana1914-1918.eu/...
Contributor
Sibylle Schreiber
License
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


Login to edit the languages

Login to edit the fronts
  • Eastern Front
  • Italian Front
  • Western Front

Login to add keywords
  • Artillery
  • Trench Life

Login and add links

Notes and questions

Login to leave a note