Kriegserinnerungen der Lazarettschwester Marie Delius, geb. Schiele, item 19
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Ich selbst kann bei der geringeren abwechslungsreichen Kost ganz gut
bestehen, nur die Verdauung gewöhnt man sich ab, hat auch keine
Zeit dafür. Seit 2 Nächten haben wir auch eine eigene Nachtwache in
unseren 3 Baracken. Da ist eine rechte Hilfe, auch werden wir nun
ordentlich geweckt, da schläft man anders. Es ist jetzt kaltes,
nasses Wetter, unsere armen Truppen werden viel ausstehen
müssen. Ab und an hört man noch Kanonendonner, es wird immer gefochten,
aber es geht nur langsam vorwärts. Fast alle haben jetzt Kopf-
schüsse, die zu den greulichsten Komplikationen führen, Lähmungen,
Taubheit etc. Auch die Dumdumgeschosse der Engländer lernen wir
gründlich kennen.
d. 19. Nov. Heute fällt der erste Schnee.
Unser Stationsarzt hat eine Menge Bratäpfel gestiftet, die ich
auf Gas in der Pfanne ganz schön gebraten habe. Vorgestern kam der
erste Brief von Käthe vom 2. Nov. Das war eine Freude, nur war der
Brief einer von vielen, sodaß mir der Zusammenhang vielfach fehlte.
Wo mag nur unsere Post stecken ! Auf meiner Station in Baracke 1 ist
es viel leichter geworden, die Schwerkranken sind teils nachhause ge-
schickt im Lazarettzug, teils gestorben, so daß nur
Leichtkranke noch hier sind. Unser Doktor hat auch Krach gehabt,
weil er alles hier verbunden hat, nun arbeitet er den ganzen
Vormittag drüben und kommt zu uns erst am Nachmittag. Es ist recht
schade um unsre schöne Selbstständigkeit. Nun sind die Vormittage ver-
hältnismäßig ruhig, die Nachmittage desto stürmischer. Traurig sieht
es in der Tetanusbaracke aus. Es stirbt einer nach dem andern, ob
was für sie geschieht oder nicht. Heute liegt wieder ein junger Mann
im Sterben, ein junger Musikus, ein wunderschöner Mensch mit
einer tiefen Wunde im Gesäß. Er ist furchtbar unruhig und läßt einen
nicht von seiner Seite. Es ist eine entsetzliche Krankheit. Einer ist
jetzt schon 8 Tage da, es scheint, als ob wir ihn durchkriegen, aber
jetzt glaube ich es auch nicht mehr. 2 Abendmahlsfeiern habe ich
dort schon miterlebt. Sehr schwer ist es mir, daß ich immer das Heulen
kriege, wenn ich den Kranken geistlichen Trost sagen möchte, es
brennt mir fast das Herz ab, und ich wüßte viel zu sagen, aber es
ist mir körperlich unmöglich, und die Energie genügt nicht zum
Überwinden.
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Ich selbst kann bei der geringeren abwechslungsreichen Kost ganz gut bestehen, nur die Verdauung gewöhnt man sich ab, hat auch keine Zeit dafür. Seit 2 Nächten haben wir auch eine eigene Nachtwache in unseren 3 Baracken. Da ist eine rechte Hilfe, auch werden wir nun ordentlich geweckt, da schläft man anders. Es ist jetzt kaltes, nasses Wetter, unsere armen Truppen werden viel ausstehen müssen. Ab und an hört man noch Kanonendonner, es wird immer gefochten, aber es geht nur langsam vorwärts. Fast alle haben jetzt Kopf- schüsse, die zu den greulichsten Komplikationen führen, Lähmungen, Taubheit etc. Auch die Dumdumgeschosse der Engländer lernen wir gründlich kennen.
d. 19. Nov. Heute fällt der erste Schnee. Unser Stationsarzt hat eine Menge Bratäpfel gestiftet, die ich auf Gas in der Pfanne ganz schön gebraten habe. Vorgestern kam der erste Brief von Käthe vom 2. Nov. Das war eine Freude, nur war der Brief einer von vielen, sodaß mir der Zusammenhang vielfach fehlte. Wo mag nur unsere Post stecken ! Auf meiner Station in Baracke 1 ist es viel leichter geworden, die Schwerkranken sind teils nachhause geschickt im Lazarettzug, teils gestorben, so daß nur Leichtkranke noch hier sind. Unser Doktor hat auch Krach gehabt, weil er alles hier verbunden hat, nun arbeitet er den ganzen Vormittag drüben und kommt zu uns erst am Nachmittag. Es ist recht schade um unsre schöne Selbstständigkeit. Nun sind die Vormittage verhältnismäßig ruhig, die Nachmittage desto stürmischer. Traurig sieht es in der Tetanusbaracke aus. Es stirbt einer nach dem andern, ob was für sie geschieht oder nicht. Heute liegt wieder ein junger mann im Sterben, ein junger Musikus, ein wunderschöner Mensch mit einer tiefen Wunde im Gesäß. Er ist furchtbar unruhig und läßt einen nicht von seiner Seite. Es ist eine entsetzliche Krankheit. Einer ist jetzt schon 8 Tage da, es scheint, als ob wir ihn durchkriegen, aber jetzt glaube ich es auch nicht mehr. 2 Abendmahlsfeiern habe ich dort schon miterlebt. Sehr schwer ist es mir, daß ich immer das Heulen kriege, wenn ich den Kranken geistlichen Trost sagen möchte, es brennt mir fast das Herz ab, und ich wüßte viel zu sagen, aber es ist mir körperlich unmöglich, und die Energie genügt nicht zum Überwinden.
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Ich selbst kann bei der geringeren abwechslungsreichen Kost ganz gut bestehen, nur die Verdauung gewöhnt man sich ab, hat auch keine Zeit dafür. Seit 2 Nächten haben wir auch eine eigene Nachtwache in unseren 3 Baracken. Da ist eine rechte Hilfe, auch werden wir nun ordentlich geweckt, da schläft man anders. Es ist jetzt kaltes, nasses Wetter, unsere armen Truppen werden viel ausstehen müssen. Ab und an hört man noch Kanonendonner, es wird immer gefochten, aber es geht nur langsam vorwärts. Fast alle haben jetzt Kopf- schüsse, die zu den greulichsten Komplikationen führen, Lähmungen, Taubheit etc. Auch die Dumdumgeschosse der Engländer lernen wir gründlich kennen.
d. 19. Nov. Heute fällt der erste Schnee. Unser Stationsarzt hat eine Menge Bratäpfel gestiftet, die ich auf Gas in der Pfanne ganz schön gebraten habe. Vorgestern kam der erste Brief von Käthe vom 2. Nov. Das war eine Freude, nur war der Brief einer von vielen, sodaß mir der Zusammenhang vielfach fehlte. Wo mag nur unsere Post stecken ! Auf meiner Station in Baracke 1 ist es viel leichter geworden, die Schwerkranken sind teils nachhause geschickt im Lazarettzug, teils gestorben, so daß nur Leichtkranke noch hier sind. Unser Doktor hat auch Krach gehabt, weil er alles hier verbunden hat, nun arbeitet er den ganzen Vormittag drüben und kommt zu uns erst am Nachmittag. Es ist recht schade um unsre schöne Selbstständigkeit. Nun sind die Vormittage verhältnismäßig ruhig, die Nachmittage desto stürmischer. Traurig sieht es in der Tetanusbaracke aus. Es stirbt einer nach dem andern, ob was für sie geschieht oder nicht. Heute liegt wieder ein junger mann im Sterben, ein junger Musikus, ein wunderschöner Mensch mit einer tiefen Wunde im Gesäß. Er ist furchtbar unruhig und läßt einen nicht von seiner Seite. Es ist eine entsetzliche Krankheit. Einer ist jetzt schon 8 Tage da, es scheint, als ob wir ihn durchkriegen, aber jetzt glaube ich es auch nicht mehr. 2 Abendmahlsfeiern habe ich dort schon miterlebt. Sehr schwer ist es mir, daß ich immer das Heulen kriege, wenn ich den Kranken geistlichen Trost sagen möchte, es brennt mir fast das Herz ab, und ich wüßte viel zu sagen, aber es ist mir körperlich unmöglich, und die Energie genügt nicht zum Überwinden.
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Lille, Neu Sandec
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- Friedrich Delius
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