Kriegserinnerungen der Lazarettschwester Marie Delius, geb. Schiele, item 15

Edit transcription:
...
Transcription saved
Enhance your transcribing experience by using full-screen mode

Transcription

You have to be logged in to transcribe. Please login or register and click the pencil-button again

--5--

Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

meinen Schwestern sind schon wieder abgeholt auf die Thyhus-Station,

Erfolg gibt es nicht. Unser Hospitalservice ist das Schmutzigste,

elendeste, verkommenste Lokal, das ich noch gesehen habe. Bei uns gibt

es ein solches Haus für Menschen gar nicht. Jeden Anspruch an Ordnung

und Reinlichkeit muß man fahren lassen, um es nur auszuhalten. Treppen,

Gänge, Fenster, Höfe, Klosetts, Ausgüsse, Türen starren von Schmutz.

Essen kann man nur mit Wiederwillen. Aber was hilfts. Ich komme in

meinem Saal, Magazin A, täglich einige Schritte weiter. Das ist die

Durchgangsstation, ein furchtbar unruhiger Saal, innerlich und äus ser-

lich Kranke liegen durcheinander, viele Bleiben nur wenige Stunden,

werden nach Haus transportiert oder verlegt, nur wenige von denen, die

ich vor 3 Tagen übernommen habe, sind noch da. Der Saal hat 44 Betten,

kann aber durch Matratzen auf dem Hängeboden leicht bis 75 vergrößert

werden. Heute mittag z.B. hatte ich soviele Kostgänger. Zuerst fand ich

mich nicht gleich zurecht, jetzt geht es schon ganz gut. Meine zwei

sanitäter sind cand. jur. Fischer und ein Schwarzwälder Etzkorn.

Letzterer nimmt sich manchmal etwas heraus. Ganz am Ende des Saales

liegen einige schwerverwundete Engländer, die ihren eigenen Sanitäter

haben. Den stelle ich vermögens meiner Sprachkennznisse [sic!] tüchtig mit an.

So muß er die Kabuse, das Dreckloch in Ordnung halten. Öfen heizen usw.

SchwesternClos sind fast immer abzuwaschen, Er tut mir oft leid. In

St. Sauveur sollen sie viele Schwerverletzte haben, wir werden wohl

auch dahin kommen. Unser Doktor in Magazin A ist ein Dr, Schütz, Lugen-

spezialist. Die Soldaten sind alle sehr nett, aber voller Wut auf die

Engländer. Die müssen es entsetzlich treiben. Schauergeschichten erzählen

sie von den Bayern.

Transcription saved

--5--

Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

meinen Schwestern sind schon wieder abgeholt auf die Thyhus-Station,

Erfolg gibt es nicht. Unser Hospitalservice ist das Schmutzigste,

elendeste, verkommenste Lokal, das ich noch gesehen habe. Bei uns gibt

es ein solches Haus für Menschen gar nicht. Jeden Anspruch an Ordnung

und Reinlichkeit muß man fahren lassen, um es nur auszuhalten. Treppen,

Gänge, Fenster, Höfe, Klosetts, Ausgüsse, Türen starren von Schmutz.

Essen kann man nur mit Wiederwillen. Aber was hilfts. Ich komme in

meinem Saal, Magazin A, täglich einige Schritte weiter. Das ist die

Durchgangsstation, ein furchtbar unruhiger Saal, innerlich und äus ser-

lich Kranke liegen durcheinander, viele Bleiben nur wenige Stunden,

werden nach Haus transportiert oder verlegt, nur wenige von denen, die

ich vor 3 Tagen übernommen habe, sind noch da. Der Saal hat 44 Betten,

kann aber durch Matratzen auf dem Hängeboden leicht bis 75 vergrößert

werden. Heute mittag z.B. hatte ich soviele Kostgänger. Zuerst fand ich

mich nicht gleich zurecht, jetzt geht es schon ganz gut. Meine zwei

sanitäter sind cand. jur. Fischer und ein Schwarzwälder Etzkorn.

Letzterer nimmt sich manchmal etwas heraus. Ganz am Ende des Saales

liegen einige schwerverwundete Engländer, die ihren eigenen Sanitäter

haben. Den stelle ich vermögens meiner Sprachkennznisse [sic!] tüchtig mit an.

So muß er die Kabuse, das Dreckloch in Ordnung halten. Öfen heizen usw.

SchwesternClos sind fast immer abzuwaschen, Er tut mir oft leid. In

St. Sauveur sollen sie viele Schwerverletzte haben, wir werden wohl

auch dahin kommen. Unser Doktor in Magazin A ist ein Dr, Schütz, Lugen-

spezialist. Die Soldaten sind alle sehr nett, aber voller Wut auf die

Engländer. Die müssen es entsetzlich treiben. Schauergeschichten erzählen

sie von den Bayern.


Transcription history
  • June 23, 2017 14:16:34 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

    großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

    Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

    etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

    eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

    mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

    neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

    Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

    alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

    meinen Schwestern sind schon wieder abgeholt auf die Thyhus-Station,

    Erfolg gibt es nicht. Unser Hospitalservice ist das Schmutzigste,

    elendeste, verkommenste Lokal, das ich noch gesehen habe. Bei uns gibt

    es ein solches Haus für Menschen gar nicht. Jeden Anspruch an Ordnung

    und Reinlichkeit muß man fahren lassen, um es nur auszuhalten. Treppen,

    Gänge, Fenster, Höfe, Klosetts, Ausgüsse, Türen starren von Schmutz.

    Essen kann man nur mit Wiederwillen. Aber was hilfts. Ich komme in

    meinem Saal, Magazin A, täglich einige Schritte weiter. Das ist die

    Durchgangsstation, ein furchtbar unruhiger Saal, innerlich und äus ser-

    lich Kranke liegen durcheinander, viele Bleiben nur wenige Stunden,

    werden nach Haus transportiert oder verlegt, nur wenige von denen, die

    ich vor 3 Tagen übernommen habe, sind noch da. Der Saal hat 44 Betten,

    kann aber durch Matratzen auf dem Hängeboden leicht bis 75 vergrößert

    werden. Heute mittag z.B. hatte ich soviele Kostgänger. Zuerst fand ich

    mich nicht gleich zurecht, jetzt geht es schon ganz gut. Meine zwei

    sanitäter sind cand. jur. Fischer und ein Schwarzwälder Etzkorn.

    Letzterer nimmt sich manchmal etwas heraus. Ganz am Ende des Saales

    liegen einige schwerverwundete Engländer, die ihren eigenen Sanitäter

    haben. Den stelle ich vermögens meiner Sprachkennznisse [sic!] tüchtig mit an.

    So muß er die Kabuse, das Dreckloch in Ordnung halten. Öfen heizen usw.

    SchwesternClos sind fast immer abzuwaschen, Er tut mir oft leid. In

    St. Sauveur sollen sie viele Schwerverletzte haben, wir werden wohl

    auch dahin kommen. Unser Doktor in Magazin A ist ein Dr, Schütz, Lugen-

    spezialist. Die Soldaten sind alle sehr nett, aber voller Wut auf die

    Engländer. Die müssen es entsetzlich treiben. Schauergeschichten erzählen

    sie von den Bayern.


  • June 23, 2017 14:10:04 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

    großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

    Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

    etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

    eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

    mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

    neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

    Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

    alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

    meinen Schwestern sind schon wieder abgeholt auf die Thyhus-Station,

    Erfolg gibt es nicht. Unser Hospitalservice ist das Schmutzigste,

    elendeste, verkommenste Lokal, das ich noch gesehen habe. Bei uns gibt

    es ein solches Haus für Menschen gar nicht. Jeden Anspruch an Ordnung

    und Reinlichkeit muß man fahren lassen, um es nur auszuhalten. Treppen,

    Gänge, Fenster, Höfe, Klosetts, Ausgüsse, Türen starren von Schmutz.

    Essen kann man nur mit Wiederwillen. Aber was hilfts. Ich komme in

    meinem Saal, Magazin A, täglich einige Schritte weiter. Das ist die

    Durchgangsstation, ein furchtbar unruhiger Saal, innerlich und äus ser-

    lich Kranke liegen durcheinander, viele Bleiben nur wenige Stunden,

    werden nach Haus transportiert oder verlegt, nur wenige von denen, die

    ich vor 3 Tagen übernommen habe, sind noch da. Der Saal hat 44 Betten,

    kann aber durch Matratzen auf dem Hängeboden leicht bis 75 vergrößert

    werden. Heute mittag z.B. hatte ich soviele Kostgänger. Zuerst fand ich

    mich nicht gleich zurecht, jetzt geht es schon ganz gut. Meine zwei

    sanitäter sind cand. jur. Fischer und ein Schwarzwälder Etzkorn.

    Letzterer nimmt sich manchmal etwas heraus. Ganz am Ende des Saales

    liegen einige schwerverwundete Engländer, die ihren eigenen Sanitäter



  • June 23, 2017 14:01:22 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

    großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

    Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

    etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

    eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

    mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

    neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

    Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

    alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

    meinen Schwestern sind schon wieder abgeholt auf die Thyhus-Station,

    Erfolg gibt es nicht. Unser Hospitalservice ist das Schmutzigste,

    elendeste, verkommenste Lokal, das ich noch gesehen habe. Bei uns gibt

    es ein solches Haus für Menschen gar nicht. Jeden Anspruch an Ordnung

    und Reinlichkeit muß man fahren lassen, um es nur auszuhalten. Treppen,



  • June 23, 2017 13:57:16 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

    großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

    Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

    etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

    eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

    mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

    neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

    Roten Kreuz mit Beschlag belegten Garnisonlazarett von Lille. Wir

    alle stehen unter einer Gräfin horn, die das ganze leitet. Zwei von

    meinen Schwestern sind schon


  • June 23, 2017 13:54:37 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls, es war nämlich unter den Trümmern eines

    großen Hotels der Winkeller gefunden worden, und nun machten sich

    Franzosen dabei, alles fortzuschaffen. Ein deutscher Soldat erbat sich

    etwa davon, und erhielt einen gganzen Arm voll, ich ließ mir auch

    eine halbe Flasche geben, die war noch ganz warm, ich habe sie dann

    mit Sanitätern geteilt. Un unsere Arbeit? 14 von uns sind in einem

    neuen Hospital St. Sauveur, ich mit 6 anderen in dem vom badischen

    Roten Kreuz


  • June 23, 2017 13:49:46 Ines Davila Mendez

    --5--

    Es ist ein anblick zum Erbarmen, ganza Stadtviertel sind rauchende

    Trümmerhaufen, es sollen an 200 häuser bei der Belagerung zerschossen

    sein. Noch hören wir täglich auch nachts den Kanonendonner, da wird

    heiß gekämpft in der Umgegend gegen die Engländer. Bei einem Ausgang

    in der Nähe des.. , wo ich arbeitet, wurde ich Zeuge eines

    interessanten vorfalls,


Description

Save description
  • 52.5261532||13.3399273||

    Hospital St. Sauveur

  • 48.7904472||11.4978895||

    Bayern

  • 50.62932559999999||3.0568347999999332||

    Lille, Neu Sandec

    ||1
Location(s)
  • Story location Lille, Neu Sandec
  • Document location Hospital St. Sauveur
  • Additional document location Bayern
Login and add location


ID
12644 / 148875
Source
http://europeana1914-1918.eu/...
Contributor
Friedrich Delius
License
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


Login to edit the languages

Login to edit the fronts
  • Eastern Front
  • Western Front

Login to add keywords
  • Medical
  • Prisoners of War
  • Women

Login and add links

Notes and questions

Login to leave a note