Erinnerungsbuch, item 21

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   Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

und wahrscheinlich auch war.

   Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

   Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

oder als stud x wieder?

   Eine Kriegs-Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

werden. Dann kommt der Zug. Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich. 2 Abteile nebeneinander

bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

darauf aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin. Unser

Anschlusszug gleich von Köslin her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

eingelegten D-Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau v. Z.,

wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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   Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

und wahrscheinlich auch war.

   Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

   Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

oder als stud x wieder?

   Eine Kriegs-Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

werden. Dann kommt der Zug. Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich. 2 Abteile nebeneinander

bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

darauf aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin. Unser

Anschlusszug gleich von Köslin her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

eingelegten D-Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau v. Z.,

wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • April 29, 2018 09:39:55 Chrissie Lutze

       Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

    den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.

       Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

       Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

    gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?

       Eine Kriegs-Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug. Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich. 2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin. Unser

    Anschlusszug gleich von Köslin her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D-Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau v. Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

    fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • April 29, 2018 09:36:57 Chrissie Lutze

       Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

    den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.

       Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

       Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

    gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?

       Eine Kriegs-Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug. Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich. 2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin. Unser

    Anschlusszug gleich von Köslin [heute Koszalin] her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D-Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau v. Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

    fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • April 29, 2018 09:34:50 Chrissie Lutze

       Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

    den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.

       Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

       Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

    gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?

       Eine Kriegs-Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug.  Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich.  2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin. Unser

    Anschlusszug gleich von Köslin [heute Koszalin] her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D-Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau v. Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

    fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • December 4, 2017 19:17:34 Daniela Z

       Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

    den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.

       Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

       Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

    gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?

       Eine Kriegs=Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug.  Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich.  2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf  aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin.  Unser

    Anschlusszug gleich von Köslin [heute Koszalin] her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D=Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau. v. Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

    fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • December 4, 2017 19:05:49 Daniela Z

       Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Kessel, Oberkommandierenden in den Werken, abgefaßt,

    den Doras kleine Nichte schreiben sollte: "Lieber Onkel Kessel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie fortgekommen. Deshalb mußte also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten. Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich z. B. einer bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei paßt

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.

       Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschließendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.

       Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau Kesten

    gestiftet. Dann heißts Abschied nehmen. Lebwohl Deep! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?

       Eine Kriegs=Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug.  Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind), Werner, Marie und ich.  2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf  aufmerksam gemacht war, daß die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin.  Unser

    Anschlusszug gleich von Köblin her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D=Zug fahren wir dann vornehm 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau. v. Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Größe einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes und Königs

    fahren natürlich plebejerhaft 3. Klasse.

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  • November 25, 2017 19:35:23 Eva Anna Welles (AUT)

    Aber, aber, jetzt nahte die böse Schule wieder. Zwar hatte ich

    einen Brief an Herrn von Küssel, Oberkommandierender in den Werken, abgefasst,

    den   missing kleine  Stifte  Schreiben sollte: "Lieber Onkel Küssel! ..."; dieser

    Brief ist aber leider nie  fortgekommen.  Deshalb musste also auch wieder ein

    Versuch gemacht werden, zu arbeiten.  Die ersten "Nachhilfestunden", die ich gab, fielen

    schon in die Mitte der Ferien. Da erinnere ich mich  g. Z.   bei Dora. Bei uns

    hatte es Mittag Kartoffelpuffer gegeben, und auf einmal bringt Marie uns beiden

    Ahnungslosen, Werner und mir, je eine Tasse mit Roter Grütze. Absender

    nicht unbekannt. Also bringen wir als "Revanche" Kartoffelpuffer. Dabei fasst

    uns Dora gleich ab, eine Aufgabe käme bei Ihr ganz anders raus als sie sollte.

    Soweit es die Puffer noch zulassen, rechnen wir nach, und da wir nichts Falsches

    finden, erklären wir die Stunde für geschlossen, weil die Aufgabe falsch aufgeschrieben sei

    und wahrscheinlich auch war.


    Bei uns gabs dann noch des öfteren Stunden in Gruppen zu zweien

    und dreien mit anschliessendem Kaffee und Amerikanern. Dabei entwickelten

    wir alle einen nicht zu beschreibenden Appetit.


    Die Abreise naht. Eine Brotkarte wird mir noch von Frau missing

    gestiftet. Dann heissts Abschied nehmen. Lebwohl Derz! Siehst du mich als Pennäler

    oder als stud x wieder?


    Eine Kriegs=Rückfahrt. In Treptow fing's an: die Koffer,

    nur bis Treptow befördert, müssen auf der Staatsbahn zur Aufgabe erst erkämpft

    werden. Dann kommt der Zug.  Vorn voll, hinten voll, überall voll. Wir

    steigen ein: Mutti, Dora (unser neues Pflegekind) Werner, Marie und ich.  2 Abteile nebeneinander

    bilden unser neues Heim. Werner und Marie betrachten sich, wie aus Briefen

    hervorgeht, als Kriegsgefangene. Gefangenensendungen sind gestattet. Der

    bewachende Landsturmmann wird durch Doras holden Gesang um eine "Schattierung"

    höflicher, ja er lächelt sogar einmal sehr freundlich um die Ecke. Stettin. Trotzdem

    die hochwohllöbliche Stettiner Eisenbahnverwaltung von uns schon acht Tage vorher

    darauf  aufmerksam gemacht war, dass die Berliner Schulferien zu Ende gingen,

    hatte sie doch keine durchgehenden Züge eingesetzt. Erfolg siehe Stettin.  Unser

    Anschlusszug gleich von missing  her besetzt, Einsteigen unmöglich. In einem

    eingelegten D=Zug fahren wir dann missing 1. Klasse. Die einzige wohl

    halbwegs berechtigte Mitfahrende in unserem Abteil war eine Frau. v.Z.,

    wie auf ihrem Reisekoffer zu lesen stand, den, in Grösse einer Zigarrenkiste,

    ein Dienstmann ihr stolz ins Abteil getragen hatte. Domkes missing und Königs

    fahren natürlich missing 3. Klasse.

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  • 54.143889||15.291667||

    Deep/Mrzeżyno

  • 54.061111||15.266667||

    Treptow/Trzebiatów

  • 53.424722||14.555278||

    Stettin/Szczecin

  • 54.190278||16.181667||

    Köslin/Koszalin

  • 52.5234051||13.4113999||

    Berlin

    ||1
Location(s)
  • Story location Berlin
  • Document location Deep/Mrzeżyno
  • Additional document location Treptow/Trzebiatów
  • Additional document location Stettin/Szczecin
  • Additional document location Köslin/Koszalin
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ID
1285 / 10764
Source
http://europeana1914-1918.eu/...
Contributor
Rheinboldt, Sigrid
License
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


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