Erinnerungsbuch, item 9

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wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht möglich,

ein Bild von dieser Abfahrt in Deep zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt hier garnichts.

   Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht." Mobilmachung!

Mobilmachung? Könnt ihr euch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

   Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

auch?" - "Nee -, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

wird natürlich abgesagt.

   Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

treffen?" - "Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhaltung.

Die Tür öffnet sich. Der Gemeindevorsteher: "Jungt, ju müt

mi nu all en bäten helpen. Du, Hä'mann, fahst nach West und

gibst dat bekahnt, mi maken dat hier." Mit Herrn Wilke fahren

also Kurt und ich in stockdusterer Nacht nach Westdeep. Guhlke wird

wachgeklopft: " - und gibst dat hier gliek bekahnt." Bis zum Landsturm

zweiten Aufgebots, bis zu 45 Jahren hatte sich dort alles gleich

zu melden. Wilke und wir nach dem Bramberg. Kurt und ich bleiben

zurück. Rings lautloses Schweigen. Kaum ein Luftzug. Der Vollmond

eine blutrote Scheibe . . . .

   Zurück nach West. Guhlke ist schon durchgewesen. Am Schwarzen

Brett ist der Aufruf angeschlagen.

   Sonntag, der 1. August, der erste Mobilmachungstag. Ein

Brief von Vater: " - Macht es, wie Ihr denkt; ich kann Euch auch

nichts sagen, würde aber versuchen, auf jeden Fall zurückzukommen."


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wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht möglich,

ein Bild von dieser Abfahrt in Deep zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt hier garnichts.

   Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht." Mobilmachung!

Mobilmachung? Könnt ihr euch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

   Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

auch?" - "Nee -, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

wird natürlich abgesagt.

   Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

treffen?" - "Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhaltung.

Die Tür öffnet sich. Der Gemeindevorsteher: "Jungt, ju müt

mi nu all en bäten helpen. Du, Hä'mann, fahst nach West und

gibst dat bekahnt, mi maken dat hier." Mit Herrn Wilke fahren

also Kurt und ich in stockdusterer Nacht nach Westdeep. Guhlke wird

wachgeklopft: " - und gibst dat hier gliek bekahnt." Bis zum Landsturm

zweiten Aufgebots, bis zu 45 Jahren hatte sich dort alles gleich

zu melden. Wilke und wir nach dem Bramberg. Kurt und ich bleiben

zurück. Rings lautloses Schweigen. Kaum ein Luftzug. Der Vollmond

eine blutrote Scheibe . . . .

   Zurück nach West. Guhlke ist schon durchgewesen. Am Schwarzen

Brett ist der Aufruf angeschlagen.

   Sonntag, der 1. August, der erste Mobilmachungstag. Ein

Brief von Vater: " - Macht es, wie Ihr denkt; ich kann Euch auch

nichts sagen, würde aber versuchen, auf jeden Fall zurückzukommen."


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  • November 10, 2017 15:09:17 Daniela Z

    wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht möglich,

    ein Bild von dieser Abfahrt in Deep zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

    Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt hier garnichts.

       Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

    zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

    Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht." Mobilmachung!

    Mobilmachung? Könnt ihr euch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

    noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

    weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

       Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

    auch?" - "Nee -, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

    der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

    vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

    wird natürlich abgesagt.

       Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

    treffen?" - "Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

    unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

    Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhaltung.

    Die Tür öffnet sich. Der Gemeindevorsteher: "Jungt, ju müt

    mi nu all en bäten helpen. Du, Hä'mann, fahst nach West und

    gibst dat bekahnt, mi maken dat hier." Mit Herrn Wilke fahren

    also Kurt und ich in stockdusterer Nacht nach Westdeep. Guhlke wird

    wachgeklopft: " - und gibst dat hier gliek bekahnt." Bis zum Landsturm

    zweiten Aufgebots, bis zu 45 Jahren hatte sich dort alles gleich

    zu melden. Wilke und wir nach dem Bramberg. Kurt und ich bleiben

    zurück. Rings lautloses Schweigen. Kaum ein Luftzug. Der Vollmond

    eine blutrote Scheibe . . . .

       Zurück nach West. Guhlke ist schon durchgewesen. Am Schwarzen

    Brett ist der Aufruf angeschlagen.

       Sonntag, der 1. August, der erste Mobilmachungstag. Ein

    Brief von Vater: " - Macht es, wie Ihr denkt; ich kann Euch auch

    nichts sagen, würde aber versuchen, auf jeden Fall zurückzukommen."


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  • November 10, 2017 14:44:06 Daniela Z

    wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht möglich,

    ein Bild von dieser Abfahrt in Deep zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

    Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt hier garnichts.

       Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

    zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

    Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht." Mobilmachung!

    Mobilmachung? Könnt ihr euch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

    noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

    weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

       Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

    auch?" - "Nee -, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

    der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

    vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

    wird natürlich abgesagt.

       Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

    treffen?" - "Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

    unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

    Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhaltung.

    Die Tür öffnet sich. Der Gemeindevorsteher: "Jungt, ju müt

    mi nu all en bäten helpen. Du, Hä'mann, fahst nach West und

    gibst dat bekahnt, mi maken dat hier." Mit Herrn Milke fahren

    also Kurt und ich in stockdusterer Nacht nach Westdeep. Guhlke wird

    wachgeklopft: " - und gibst dat hier gliek bekahnt." Bis zum Landsturm

    zweiten Aufgebots, bis zu 45 Jahren hatte sich dort alles gleich

    zu melden. Milke und wir nach dem Bramberg. Kurt und ich bleiben

    zurück. Rings lautloses Schweigen. Kaum ein Luftzug. Der Vollmond

    eine blutrote Scheibe . . . .

       Zurück nach West. Guhlke ist schon durchgewesen. Am Schwarzen

    Brett ist der Aufruf angeschlagen.

       Sonntag, der 1. August, der erste Mobilmachungstag. Ein

    Brief von Vater: " - Macht es, wie Ihr denkt; ich kann Euch auch

    nichts sagen, würde aber versuchen, auf jeden Fall zurückzukommen."


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  • November 10, 2017 14:30:42 Daniela Z

    wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht möglich,

    ein Bild von dieser Abfahrt in Deep zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

    Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt hier garnichts.

       Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

    zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

    Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht." Mobilmachung!

    Mobilmachung? Könnt ihr euch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

    noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

    weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

       Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

    auch?" - "Nee -, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

    der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

    vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

    wird natürlich abgesagt.

       Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

    treffen?" - "Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

    unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

    Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhaltung.

    Die Tür öffnet sich. Der Gemeindevorsteher: "Jungt, ju müt

    mi nu all en bäten helpen. Du, Hä'mann, fahst nach West und

    gibst dat bekahnt, mi maken dat hier." Mit Herrn Milke fahren

    also Kurt und ich in stockdusterer Nacht nach Westdeep. Guhlke wird

    wachgeklopft: " - und gibst dat hier gliek bekahnt." Bis zum Landsturm

    zweiten Aufgebots, bis zu 45 Jahren hatte sich dort alles gleich

    zu melden. Milke und wir nach dem Bramberg. Kurt und ich bleiben

    zurück. Rings lautloses Schweigen. Kaum ein Luftzug. Der Vollmond

    eine blutrote Scheibe . . . .

       Zurück nach West. Guhlke ist schon durchgewesen. Am Schwarzen

    Brett ist der Aufruf angeschlagen.

       Sonntag, der 1. August, der erste Mobilmachungstag. Ein

    Brief von Vater: " - Macht es, wie Ihr denkt; ich kann Euch auch

    nichts sagen, würde aber versuchen, auf jeden Fall zurückzukommen."


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  • September 24, 2017 21:36:41 Sophia Dörner

    wie lange die Züge noch fahren u.s.w. Leider ist es mir nicht mög-

    ich, ein Bild von dieser Abfahrt in Derz zu zeigen; jedenfalls, die bewußte 

    Stecknadel, die nicht zu Boden fallen kann, sagt  hie garnichts.

    Nachmittag: Kurt und ich segeln. Gegen 6 Uhr kommen wir

    zurück. "Wie alt sind Sie?" - "16."- "Seien Sie froh, da brauchen

    Sie wenigstens noch nicht mit; es ist mobil gemacht."

    Mobilmachung? Könnt ihr auch einen Begriff davon machen, wenn ihr selbst

    noch keine miterlebt, noch dazu, wenn ihr 4 Wochen lang in einem

    weltfernen, kleinen Fischerdorfe gelebt habt?

    Abend. Wir treffen ein Fräulein Püschel: "Fahren Sie etwa

    auch?" - "Nein-, wir bleiben." - "Gott sei Dank, wenigstens einer,

    der bleibt. Wir fahren auch nicht. Man käme sich ja hier ganz einsam

    vor."  Das Feuerwerk, das an diesem Abend abgebrannt werden soll,

    wird natürlich abgesagt.

    Nacht, gegen 1/2 11 Uhr. "Wo kann ich den Gemeindevorsteher

    treffen?" - Kommen Sie mit, der ist jetzt im Bahnhof." Mit

    unserem Wirt gehen wir los und bringen den Kurier zum Bahnhof. Im

    Dienstraum lebhafte Gespräche, draußen, bei uns, gedämpfte Unterhal-

    tung. Die Tür öffnet sich.Der Gemeindevorsteher: "



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  • 54.143889||15.291667||

    Deep/Mrzeżyno

  • 52.5234051||13.4113999||

    Berlin

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  • Document location Deep/Mrzeżyno
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1285 / 10752
Source
http://europeana1914-1918.eu/...
Contributor
Rheinboldt, Sigrid
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http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/


July 31, 1914 – August 1, 1914
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