Kriegserinnerungen der Lazarettschwester Marie Delius, geb. Schiele, item 30
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Heute ist mein Geburtstag. Ich werde ihn hernach verkündigen. Im übrigen
ist er einem in diesen Zeiten ganz gleich gleichgültig, nur die Briefe sind
schön. Noch fehlen mir viele, aber von meinem Jungen habe ich gute
Nachrichten und eine Fotografie, auf der er wie ein cand.theol.
aussieht.
d. 21.2. nachts Soeben habe ich ein aufregendes
Erlebnis gehabt. Einer meiner Kranken, ein älter starker Mann
(Hascher) mit schwer Pneumonie bekam einen Tobsuchtsanfall. Er war
schon einmal am frühen Abend bis vor die Hintertür ausgerückt, ich hatte
ihn aber mit Hilfe von anderen Kranken wieder ins Bett gekriegt. Um
12 Uhr sollte er einnehmen, wollte aber immer nur aus einer "braunen"
Flasche nehmen. Während ich nun gehe, die braune Flasche mit Pyramidon
holen, muß er wohl aus dem Bett gegangen sein, kurz als ich ins Zimmer
zurückkomme, ist er in heftigem Handgemenge mit Heymann, seinem
Stubengenossen, der vergebens versucht, ihm ein offenes Messer zu
entwinden. Ich stürze zu Hilfe und es entspann sich ein heftiges Ringen.
Schließlich entfällt ihm das Messer, ich springe an die Tür und schreie
nach Meyer, der aber erst sehr spät hört. Unterdessen hat der Kranke
blitzschnell die beiden schweren Medizinflaschen ergriffen und bedroht uns
damit. Da reißen wir aus und halten die Glastür zu. Hascher zertrümmert
die Fenster, steckt den Kopf hindurch, bis endlich Meyer kommt, abermals
ein heftiges Ringen, schließlich liegen beide an der Erde, und Meyer
bewältigt ihn alles im Hemde mit bloßen Beinen, zwischen den
Glasscherben, es ist ein Wunder, daß sich niemand verletzt hat, nur Heymann
und ich haben ein paar unbedeutende Stichwunden. Jetzt schläft er ruhig
unter Meyers Bewachung. Gott sei Dank, der seine Hand über uns gehalten
hat, es hätte auch anders kommen können. Auch in der vorigen Nacht hatte
ich allerlei, wenn auch ganz anderer Art durchzumachen. Ein Schwerkranker,
der aber immer sehr schwierig war, machte fürchterliche Szenen, die sehr
an Hz. erinnerten, und mich sehr ungeduldig machten, so daß ich
schändlich zu ihm war. Der ist heute schon gestorben. Es ist mir sehr schwer,
daß man bis zuletzt mit ihm gezankt hat. Er war ein junger Lehrer aus dem
Lüneburgschen, wohl sehr verwöhnt, konnte sich zu nichts überwinden,
ich nannte ihn schon immer den Selbstmörder, da bei seiner Schlappheit
ein solches Ende kommen mußte. Die früheren ehemaligen "wilden Männer"
sind schon geheilt im Erholungsheim in Spa und St. Am. . Karl aus Schildesche
liegt bei uns an Rheumatismus krank seit heute.
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Heute ist mein Geburtstag. Ich werde ihn hernach verkündigen. Im übrigen
ist er einem in diesen Zeiten ganz gleich gleichgültig, nur die Briefe sind
schön. Noch fehlen mir viele, aber von meinem Jungen habe ich gute
Nachrichten und eine Fotografie, auf der er wie ein cand.theol.
aussieht.
d. 21.2. nachts Soeben habe ich ein aufregendes
Erlebnis gehabt. Einer meiner Kranken, ein älter starker Mann
(Hascher) mit schwer Pneumonie bekam einen Tobsuchtsanfall. Er war
schon einmal am frühen Abend bis vor die Hintertür ausgerückt, ich hatte
ihn aber mit Hilfe von anderen Kranken wieder ins Bett gekriegt. Um
12 Uhr sollte er einnehmen, wollte aber immer nur aus einer "braunen"
Flasche nehmen. Während ich nun gehe, die braune Flasche mit Pyramidon
holen, muß er wohl aus dem Bett gegangen sein, kurz als ich ins Zimmer
zurückkomme, ist er in heftigem Handgemenge mit Heymann, seinem
Stubengenossen, der vergebens versucht, ihm ein offenes Messer zu
entwinden. Ich stürze zu Hilfe und es entspann sich ein heftiges Ringen.
Schließlich entfällt ihm das Messer, ich springe an die Tür und schreie
nach Meyer, der aber erst sehr spät hört. Unterdessen hat der Kranke
blitzschnell die beiden schweren Medizinflaschen ergriffen und bedroht uns
damit. Da reißen wir aus und halten die Glastür zu. Hascher zertrümmert
die Fenster, steckt den Kopf hindurch, bis endlich Meyer kommt, abermals
ein heftiges Ringen, schließlich liegen beide an der Erde, und Meyer
bewältigt ihn alles im Hemde mit bloßen Beinen, zwischen den
Glasscherben, es ist ein Wunder, daß sich niemand verletzt hat, nur Heymann
und ich haben ein paar unbedeutende Stichwunden. Jetzt schläft er ruhig
unter Meyers Bewachung. Gott sei Dank, der seine Hand über uns gehalten
hat, es hätte auch anders kommen können. Auch in der vorigen Nacht hatte
ich allerlei, wenn auch ganz anderer Art durchzumachen. Ein Schwerkranker,
der aber immer sehr schwierig war, machte fürchterliche Szenen, die sehr
an Hz. erinnerten, und mich sehr ungeduldig machten, so daß ich
schändlich zu ihm war. Der ist heute schon gestorben. Es ist mir sehr schwer,
daß man bis zuletzt mit ihm gezankt hat. Er war ein junger Lehrer aus dem
Lüneburgschen, wohl sehr verwöhnt, konnte sich zu nichts überwinden,
ich nannte ihn schon immer
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Heute ist mein Geburtstag. Ich werde ihn hernach verkündigen. Im übrigen
ist er einem in diesen Zeiten ganz gleich gleichgültig, nur die Briefe sind
schön. Noch fehlen mir viele, aber von meinem Jungen habe ich gute
Nachrichten und eine Fotografie, auf der er wie ein cand.theol.
aussieht.
d. 21.2. nachts Soeben habe ich ein aufregendes
Erlebnis gehabt. Einer meiner Kranken, ein älter starker Mann
(Hascher) mit schwer Pneumonie bekam einen Tobsuchtsanfall. Er war
schon einmal am frühen Abend bis vor die Hintertür ausgerückt, ich hatte
ihn aber mit Hilfe von anderen Kranken wieder ins Bett gekriegt. Um
12 Uhr sollte er einnehmen, wollte aber immer nur aus einer "braunen"
Flasche nehmen. Während ich nun gehe, die braune Flasche mit Pyramidon
holen, muß er wohl aus dem Bett gegangen sein, kurz als ich ins Zimmer
zurückkomme, ist er in heftigem Handgemenge mit Heymann, seinem
Stubengenossen, der vergebens versucht, ihm ein offenes Messer zu
entwinden. Ich stürze zu Hilfe und es entspann sich ein heftiges Ringen.
Schließlich entfällt ihm das Messer, ich springe an die Tür und schreie
nach Meyer, der aber erst sehr spät hört. Unterdessen hat der Kranke
blitzschnell die beiden schweren Medizinflaschen ergriffen und bedroht uns
damit. Da reißen wir aus und halten die Glastür zu. Hascher zertrümmert
die Fenster, steckt den Kopf hindurch, bis endlich Meyer kommt, abermals
ein heftiges Ringen, schließlich liegen beide an der Erde, und Meyer
bewältigt ihn alles im Hemde mit bloßen Beinen, zwischen den
Glasscherben, es ist ein Wunder, daß sich niemand verletzt hat, nur Heymann
und ich haben ein paar unbedeutende Stichwunden. Jetzt schläft er ruhig
unter Meyers
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Heute ist mein Geburtstag. Ich werde ihn hernach verkündigen. Im übrigen
ist er einem in diesen Zeiten ganz gleich gleichgültig, nur die Briefe sind
schön. Noch fehlen mir viele, aber von meinem Jungen habe ich gute
Nachrichten und eine Fotografie, auf der er wie ein cand.theol.
aussieht.
d. 21.2. nachts Soeben habe ich ein aufregendes
Erlebnis gehabt. Einer meiner Kranken, ein älter starker Mann
(Hascher) mit schwer Pneumonie bekam einen Tobsuchtsanfall. Er war
schon einmal am frühen Abend bis vor die Hintertür ausgerückt, ich hatte
ihn aber mit Hilfe von anderen Kranken wieder ins Bett gekriegt. Um
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Heute ist mein Geburtstag. Ich werde ihn hernach verkündigen. Im übrigen
ist er einem in diesen Zeiten ganz gleich gleichgültig, nur die Briefe sind
schön. Noch fehlen mir viele, aber von meinem Jungen habe ich gute
Nachrichten und eine Fotografie, auf der er wie ein cand.theol.
aussieht.
d. 21.2. nachts Soeben habe ich ein aufregendes
Erlebnis gehabt. Einer meiner Kranken, ein älter starker Mann
(Hascher) mit schwer Pneumonie bekam einen Tobsuchtsanfall. Er war
schon einmal am frühen Abend bis vor die Hintertür ausgerückt, ich hatte
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Save description- 50.62932559999999||3.0568347999999332||||1
Lille, Neu Sandec
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- Contributor
- Friedrich Delius
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