Kriegstagebuch von Hans-Joachim Röhr aus Görlitz - Band 3, item 110
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S. 199
s. item 108
S. 200
s. item 109
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S. 199
Es ist heute nicht mehr möglich die Stimmung zu
beschreiben in welcher wir uns damals befanden. Wut, Scham
und Verzweiflung war näher als der Wunsch zu wissen
das der Friede kommen sollte - eine solche Erniedrigung
des deutschen Volkes nach 4 langen Kriegsjahren war
unglaublich - und dennoch musste der Kelch angenommen
werden.
Im Lazarett erfuhr man anfangs nicht viel. Das
männliche Sanitätspersonal blieb den ganzen Tag über
weg, auch die Ärzte liessen sich nicht sehen - wirr[sic!]
konnten es nicht fassen, dass sich Offizere kaum mehr
in Uniform auf der Strasse sehen lassen durften.
Von Turmülten haben wir zum Glück nichts zu sehen
bekommmen. Einzig und allein versahen die
Krankenschwestern ihren Dienst - diese schliefen immer zum Teil
sogar zu Hause - mussten sie ja sogar das Geschirr
aufwaschen u.a. mehr, weil das Personal einfach streikte.
Es kam die treue Pflichterfüllung der Schwestern uns
zur Untätigkeit Gezwungenen gegenüber gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden.
Im Lazarett wurde nun den Vorschriften
gemäss ein Soldatenrat beildet. Keiner wollte das
Amt annehmen, endlich liess sich ein Sergeant
dazu überreden. Zu seiner Ehre muss gesagt werden,
dass er der Alte blieb und es ihm auch gelang, das
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S. 199
Es ist heute nicht mehr möglich die Stimmung zu
beschreiben in welcher wir uns damals befanden. Wut, Scham
und Verzweiflung war näher als der Wunsch zu wissen
das der Friede kommen sollte - eine solche Erniedrigung
des deutschen Volkes nach 4 langen Kriegsjahren war
unglaublich - und dennoch musste der Kelch angenommen
werden.
Im Lazarett erfuhr man anfangs nicht viel. Das
männliche Sanitätspersonal blieb den ganzen Tag über
weg, auch die Ärzte liessen sich nicht sehen - wirr[sic!]
konnten es nicht fassen, dass sich Offizere kaum mehr
in Uniform auf der Strasse sehen lassen durften.
Von Turmülten haben wir zum Glück nichts zu sehen
bekommmen. Einzig und allein versahen die
Krankenschwestern ihren Dienst - diese schliefen immer zum Teil
sogar zu Hause - mussten sie ja sogar das Geschirr
aufwaschen u.a. mehr, weil das Personal einfach streikte.
Es kam die treue Pflichterfüllung der Schwestern uns
zur Untätigkeit Gezwungenen gegenüber gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden.
Im Lazarett wurde nun den Vorschriften
gemäss ein Soldatenrat beildet. Keiner wollte das
Amt annehmen, endlich liess sich ein Sergeant
dazu überreden. Zu seiner Ehre muss gesagt werden,
dass er der Alte blieb und es ihm auch gelang, das
S. 200
Eingeklebt ein offener Zeitungsartikel:
Soldaten und Mitbürger!
Es herrscht unter den beurlaubten und den ortsfremden Soldaten
grosse Unklarheit über Verpflegung, Löhnung und Entlassung. Diese Fragen
wird der Arbeiter- und Soldatenrat in kürzester Zeit lösen. Die Wache der
Bahnhofskommandantur ist zur Auskunft über all diese Fragen verpflichtet.
Alle Zugreisten haben ihre Waffen bei der Bahnhofskommandantur abzugeben.
Der Arbeiter- und Soldatenrat der Stadt Bomberg übt so lange die
Regierungsgewalt aus, bis die Volksregierung neue Anweisungen erteilt hat.
Vorgesetzte sind außerdienstlich nicht zu grüßen, Waffentragen ist für Militär
und Zivil verboten mit Ausnahme der Mitglieder des Arbeiter- und
Soldatenrates und der im Auftrage dieses Rates dienstuenden Wachen
und Patronillen.
Da von der neuen Regierung in kürzester Zeit eine Amnestie zu
erwarten st, darf sein Gefängnis geöffnet werden. Anderwärts sind
schwere Verbrecher befreit, die sofort wieder bei Einbruch und Diebstahl
ertappt worden sind.
Diese Menschen besudeln unsere reine Sache und geben Realstionären
Gelegenheit, gegen uns zu wirken.
Der Arbeiter- und Soldatenrat wird jede Plünderung und Gewalttat
von Militär- und Zivilpersonen durch ein zu wählendes Stadtgericht
unnachsichtlich bestrafen.
Bromberg, den 12. November 1918.
Der Vorstand
des Arbeiter- und Soldatenrats
Bromberg
Stötzel. Wende. Schulz.
Knaat. Grunert. Schendell.Neuhaus. Streubl.
W. Dittmann, Bromberg. 184542
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S. 199
Es ist heute nicht mehr möglich die Stimmung zu
beschreiben in welcher wir uns damals befanden. Wut, Scham
und Verzweiflung war näher als der Wunsch zu wissen
das der Friede kommen sollte - eine solche Erniedrigung
des deutschen Volkes nach 4 langen Kriegsjahren war
unglaublich - und dennoch musste der Kelch angenommen
werden.
Im Lazarett erfuhr man anfangs nicht viel. Das
männliche Sanitätspersonal blieb den ganzen Tag über
weg, auch die Ärzte liessen sich nicht sehen - wirr[sic!]
konnten es nicht fassen, dass sich Offizere kaum mehr
in Uniform auf der Strasse sehen lassen durften.
Von Turmülten haben wir zum Glück nichts zu sehen
bekommmen. Einzig und allein versahen die
Krankenschwestern ihren Dienst - diese schliefen immer zum Teil
sogar zu Hause - mussten sie ja sogar das Geschirr
aufwaschen u.a. mehr, weil das Personal einfach streikte.
Es kam die treue Pflichterfüllung der Schwestern uns
zur Untätigkeit Gezwungenen gegenüber gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden.
Im Lazarett wurde nun den Vorschriften
gemäss ein Soldatenrat beildet. Keiner wollte das
Amt annehmen, endlich liess sich ein Sergeant
dazu überreden. Zu seiner Ehre muss gesagt werden,
dass er der Alte blieb und es ihm auch gelang, das
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Eingeklebt ein offener Zeitungsartikel:
Soldaten und Mitbürger!
Es herrscht unter den beurlaubten und den ortsfremden Soldaten
grosse Unklarheit über Verpflegung, Löhnung und Entlassung. Diese Fragen
wird der Arbeiter- und Soldatenrat in kürzester Zeit lösen. Die Wache der
Bahnhofskommandantur ist zur Auskunft über all diese Fragen verpflichtet.
Alle Zugreisten haben ihre Waffen bei der Bahnhofskommandantur abzugeben.
Der Arbeiter- und Soldatenrat der Stadt Bomberg übt so lange die
Regierungsgewalt aus, bis die Volksregierung neue Anweisungen erteilt hat.
Vorgesetzte sind außerdienstlich nicht zu grüßen, Waffentragen ist für Militär
und Zivil verboten mit Ausnahme der Mitglieder des Arbeiter- und
Soldatenrates und der im Auftrage dieses Rates dienstuenden Wachen
und Patronillen.
Da von der neuen Regierung in kürzester Zeit eine Amnestie zu
erwarten st, darf sein Gefängnis geöffnet werden. Anderwärts sind
schwere Verbrecher befreit, die sofort wieder bei Einbruch und Diebstahl
ertappt worden sind.
Diese Menschen besudeln unsere reine Sache und geben Realstionären
Gelegenheit, gegen uns zu wirken.
Der Arbeiter- und Soldatenrat wird jede Plünderung und Gewalttat
von Militär- und Zivilpersonen durch ein zu wählendes Stadtgericht
unnachsichtlich bestrafen.
Bromberg, den 12. November 1918.
Der Vorstand
des Arbeiter- und Soldatenrats
Bromberg
Stötzel. Wende. Schulz.
Knaat. Grunert. Schendell.Neuhaus. Streubl.
W. Dittmann, Bromberg. 184542
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Es ist heute nicht mehr möglich die Stimmung zu
beschreiben in welcher wir uns damals befanden. Wut, Scham
und Verzweiflung war näher als der Wunsch zu wissen
das der Friede kommen sollte - eine solche Erniedrigung
des deutschen Volkes nach 4 langen Kriegsjahren war
unglaublich - und dennoch musste der Kelch angenommen
werden.
Im Lazarett erfuhr man anfangs nicht viel. Das
männliche Sanitätspersonal blieb den ganzen Tag über
weg, auch die Ärzte liessen sich nicht sehen - wirr[sic!]
konnten es nicht fassen, dass sich Offizere kaum mehr
in Uniform auf der Strasse sehen lassen durften.
Von Turmülten haben wir zum Glück nichts zu sehen
bekommmen. Einzig und allein versahen die
Krankenschwestern ihren Dienst - diese schliefen immer zum Teil
sogar zu Hause - mussten sie ja sogar das Geschirr
aufwaschen u.a. mehr, weil das Personal einfach streikte.
Es kam die treue Pflichterfüllung der Schwestern uns
zur Untätigkeit Gezwungenen gegenüber gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden.
Im Lazarett wurde nun den Vorschriften
gemäss ein Soldatenrat beildet. Keiner wollte das
Amt annehmen, endlich liess sich ein Sergeant
dazu überreden. Zu seiner Ehre muss gesagt werden,
dass er der Alte blieb und es ihm auch gelang, das
S. 200
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- 15873 / 169081
- Contributor
- Heike Knothe
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